Bürgerjournalismus? Find‘ ich gut. Nee, im Ernst. Ich unterrichte an Journalistenschulen und für große Journalisten-Fortbildungsorganisationen, und immer erzähle ich den TeilnehmerInnen, dass sie sich damit beschäftigen müssen, dass nicht alles Gold ist, was da glänzt, sondern ganz viel Schrott, aber dass man nicht ignorant sein darf und mindestens beobachten muss, was vor sich geht. Besser noch: mitmachen. Damit man’s auch wirklich versteht.
Warum ich das erzähle? Damit ich nicht gleich wieder von gutmeinenden KollegInnen eins übergebraten bekomme, die meinen, ich sei ja nur ein Besitzstandwahrer und altmodischer Journalist, der die Zeichen der Zeit nicht erkannt hat. Kann einem schließlich in der Blogosphäre jederzeit passieren…
Zum Punkt: gerade bin ich über Project:Report gestolpert, eine Zusamenarbeit von YouTube und dem Pulitzer Center, das eigentlich Pulitzer Center on Crisis Reporting heißt und mit dem gleichnamigen, renommiertesten US-Journalismuspreis außer dem Namen nichts zu tun hat. Es ist vielmehr eine Unternehmung, die es sich auf die Fahnen geschrieben hat, unabhängigen, internationalen Journalismus zu unterstützen,
that U.S. media organizations are increasingly less willing to undertake. The Center focuses on under-reported topics, promoting high-quality international reporting and creating platforms that reach broad and diverse audiences.
So weit, so gut, und wenn man liest, dass Geschichten, die vom Center gefördert wurden, bereits erschienen sind in
The New York Times, The Los Angeles Times, Newsweek International, The Washington Post, Christian Science Monitor, St. Louis Post-Dispatch, Boston Globe, San Francisco Chronicle, The Virginia Quarterly Review, The National Interest, Mother Jones, Smithsonian Magazine, The Washington Times, al Jazeera English, Democracy Now!, NPR, PBS, Link TV and across the internet,
dann kann man nur sagen: dolle Sache.
Dieses beiden (YouTube/Pulitzer Center) haben nun also einen Videowettbewerb für Amateure ausgeschrieben. Schön. Aber man fragt sich dann doch, wer auf die schwachsinnige Idee gekommen ist, für das Finale eines Videowettbewerbs folgende Vorgaben zu machen:
Produce a piece that empowers an underrepresented community to tell its own story to the world. First, choose a group of people that are rarely covered by the traditional media. Then let them use the camera to document their own lives, and to tell their own story. It’s up to each individual reporter to collect the footage captured by the members of this group, and to weave that material into your own reporting to create a compelling and unique story.
Eine mitreißende und einzigartige Geschichte soll also erzählt werden. Indem man die Objekte der Berichterstattung zu Subjekten macht, ihnen die Kamera in die Hand drückt, anschließend das Material zusammenschneiden darf, aber keinen Off-Kommentar verwenden (der dann hilfsweise durch Texttafeln ersetzt wird).
Für diese Vorgaben sind die Ergebnisse geradezu großartig. Aber im Vergleich mit dem, wozu Video-Journalismus in der Lage ist, sind sie vor allem: strunzlangweilig, ohne Spannung, ohne vernünftige Dramaturgie. Ich habe keins der vier Finalistenvideos, die angeklickt habe, zu Ende angeschaut, obwohl sie nicht länger als fünf Minuten sein durften.
So werden wir jedenfalls nicht erfahren, wozu Bürgerjournalismus in der Lage ist.
(Und wenn man das Gewinner-Video anschaut, fragt man sicht, wieso es überhaupt zugelassen wurde:
)
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