Zusammen mit Andreas Eisenhauer habe ich einen Beitrag zum bedingungslosen Grundeinkommen für die Zeitschrift „Zeitzeichen – Evangelische Kommentare zu Religion und Gesellschaft“ (Ausgabe 1/2008) geschrieben. Dummerweise habe ich wieder vergessen festzulegen, dass ich den Beitrag unter CC in meinem Weblog veröffentlichen darf. Freundlicherweise hat mir die Redaktion aber nachträglich gestattet, ihn hier zu veröffentlichen. Nur eben nicht unter CC.
Widrige Nötigung?
Bedingungsloses Grundeinkommen: Plädoyer für ein neues zukunftsweisendes Konzept
Andreas Eisenhauer/Matthias Spielkamp
Das Grundeinkommen ist wieder en vogue. Dumm nur, dass bei aller (Medien-)Aufmerksamkeit für zahlreiche konkurrierende Modelle niemand mehr weiß, was damit eigentlich gemeint ist. Die Gefahr ist, den wichtigsten Aspekt einer Grundsicherung aus den Augen zu verlieren: ihre Bedingungslosigkeit. Die heutige Breite der Diskussion um das Grundeinkommen hätte vor zwei Jahren niemand zu prognostizieren gewagt.“ Dieser Einschätzung werden sicher die meisten zustimmen. Nur: sie stammt aus dem Jahr 1986 – aus Michael Opielkas und Georg Vobrubas Buch „Das garantierte Grundeinkommen“, in dem die Autoren die Mitte der Achtzigerjahre sehr aktiv geführte Diskussion zusammenfassen.
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Die Idee eines Grundeinkommens gibt es aber schon seit beinahe fünfhundert Jahren. Thomas Morus entwirft sie in seinem „Utopia“, sein Freund Johannes Ludovicus Vives in dem Traktat „De Subventione Pauperum“ (Über die Armenhilfe), erschienen 1526. Durch die Jahrhunderte fand die Idee Anhänger, von Thomas Paine zu Zeiten der französischen Revolution bis zu Joseph Charlier, der 1848 in Brüssel das erste originäre Konzept zu einem bedingungslosen Grundeinkommen entwickelte, genannt „revenu garanti“ (garantiertes Einkommen).
Internationale Aufmerksamkeit wurde dem Grundeinkommen erstmals vor rund vierzig Jahren zuteil. US-Präsident Lyndon B. Johnson setzte eine Kommission ein, die die Idee der Wirtschaftsnobelpreisträger Milton Friedman und James Tobin in eingegrenzten Projekten in die Tat umsetzte: eine negative Einkommenssteuer. Dabei sollten diejenigen, die unter einem bestimmten Einkommen blieben, keine Steuern zahlen, sondern diese vom Staat ausgezahlt bekommen, so dass auch sie nicht unter ein minimales Einkommen rutschen konnten. Die Untersuchungen blieben auf wenige, schlecht ausgewertete Projekte beschränkt und fanden keinen Eingang in die große Politik.
1983 war es dann nicht nur die steigende Arbeitslosigkeit, sondern auch der Philosoph André Gorz, der mit seinem Buch „Wege ins Paradies“ die Diskussion so überzeugend neu anstieß, dass sich Mitte der Achtzigerjahre SPD, CDU und Grüne in Westdeutschland mit der Idee auseinandersetzten. Diese neue Konjunktur wurde im Jahr 1989 vom Untergang der Sowjetunion beendet, der sozialpolitische Themen in den Hintergrund drängte. Doch die Debatte war nur vertagt.
Durch die gesamten Neunzigerjahre hindurch bis heute hat sie der belgische Philosoph Philippe van Parijs, Professor in Löwen und Harvard, vorangetrieben: intellektuell, indem er die bislang systematischste Auseinandersetzung mit der Idee des bedingungslosen Grundeinkommens vorlegte. Aber auch politisch, indem er das „Basic Income European Network“ gründete. Das ist inzwischen zum „Basic Income Earth Network“ geworden und versammelt einflussreiche Wissenschaftler (darunter einige Nobelpreisträger), Politiker und Aktivisten aus der ganzen Welt.
Dennoch blieb die öffentliche Aufmerksamkeit verhalten. Bis zwei unerwartete Kandidaten auf den Plan traten, um das Grundeinkommen wieder auf die Tagesordnung zu setzen: Götz Werner, Gründer der Drogeriemarktkette DM, und Dieter Althaus, CDU-Ministerpräsident von Thüringen. Nur: es steht zwar überall Grundeinkommen drauf, drin stecken aber höchst unterschiedliche Vorstellungen.
Althaus schlägt vor, allen deutschen Staatsbürgern monatlich ein „solidarisches Bürgergeld“ von 400 oder 800 Euro zu zahlen. Davon werden allerdings 200 Euro „Gesundheitsprämie“ abgezogen, also eine Kopfpauschale. Wer 800 Euro bekommt, muss 50 Prozent Einkommenssteuer zahlen, wer 400 Euro bekommt, nur 25 Prozent. Kinder bekommen bis zum Alter von 14 Jahren 500 Euro. Weitere Leistungen gibt es nicht – kein Wohngeld, keine Heizkostenerstattung und keine anderen Beihilfen, etwa für Schulbücher. Nur Personen in so genannten „besonderen Lebenslagen“, etwa Behinderte und Pflegebedürftige, bekommen einen Zuschlag. Das bedeutet, dass Betroffene in vielen Fällen nicht besser, sondern zum Teil wesentlich schlechter gestellt wären als mit Arbeitslosengeld II. Allerdings kann jeder zusätzlich verdiente Euro in die Tasche gesteckt werden. Im September hat Bundeskanzlerin Angela Merkel eine Kommission einberufen, die unter Vorsitz von Althaus das „solidarische Bürgergeld“ prüfen soll.
Hohe Mehrwertsteuer
DM-Gründer Werner geht davon aus, dass das Grundeinkommen schrittweise eingeführt, also nach und nach erhöht werden könnte – bis zu einem Betrag von 1500 Euro monatlich. Sozialleistungen gäbe es darüber hinaus nicht mehr. Davon gibt es zwar keine Abzüge. Doch da das Grundeinkommen durch die Mehrwertsteuer finanziert würde, die schließlich bis zu 60 Prozent betragen könnte, wären die Konsumkosten erheblich höher als heute.
Da die bestehenden direkten und indirekten Steuern (Einkommensteuer, KfZ-Steuer et cetera) abgeschafft würden, wären das allerdings keine zusätzlichen 41 Prozent Steueraufkommen (zusätzlich zu den bisherigen 19 Prozent). Zu der Frage, wie die Krankenversicherung finanziert werden soll, sagt Werner nichts.
Bei den Grünen wird das Thema Grundeinkommen bereits seit Jahrzehnten diskutiert, nicht zuletzt dank des Grünen-Mitbegründers Michael Opielka. Als die Grünen jedoch 1998 an die Macht kamen, verschwand das unbequeme Thema in der Schublade. In diesem Jahr hat die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen im baden-württembergischen Landtag auf ihrem Parteitag im Oktober beschlossen, ein bedingungsloses Grundeinkommen zu fordern. Es stünde all denen zu, die ihren dauerhaften Lebensmittelpunkt in Deutschland haben. Erwachsene bekämen 420 Euro, Kinder 300 Euro. Wer darüber hinaus auf Unterstützung vom Staat angewiesen sei, könnte Wohngeld oder Sonderbedarf beantragen – etwa Menschen mit Behinderungen. Auf dem Parteitag Ende November lehnten die Mitglieder diesen Vorschlag ab und entschieden sich für eine „Grüne Grundsicherung“, die zwar ALG-II-Empfängern mehr Geld bringen würde, aber am Grundgedanken des Zwangs zur Erwerbsarbeit festhält.
Weniger Arbeitskosten
Die FDP hat seit 1994 das so genannte „Bürgergeld“ im Programm, das seit 2005 auch Bestandteil ihres Parteiprogramms ist. Es würde jedoch nicht bedingungslos ausgezahlt: Von jedem Bürgergeldempfänger, der gesund ist und keine eigenen Angehörigen zu versorgen hat, sei grundsätzlich zu erwarten, dass er zu einer Gegenleistung an die Gemeinschaft bereit ist oder eine ihm angebotene Arbeit annimmt. Andernfalls werde sein Bürgergeld merklich vermindert.
SPD und Gewerkschaften sind mehrheitlich gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen. Ihre wichtigsten Einwände: Es werde dazu führen, dass der Sozialstaat alle Steuerungsmöglichkeiten verlieren würde, etwa berufliche Weiterbildung, die Ausbildung Benachteiligter, Beschäftigungsbegleitende Leistungen – „alle staatlichen Hilfen, mit denen die Menschen auf eigene Füße kommen sollen, würden abgeschafft“, so Carsten Schneider, haushaltspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag. Weiterhin sei das Gegenseitigkeitsgebot verletzt: Menschen bekämen eine Leistung ohne Gegenleistung. Das sei ungerecht und unsolidarisch, da Solidarität bedeute, denen zu helfen, die sich nicht selber helfen könnten, aber jeden dazu zu verpflichten, einen Beitrag zum Fortbestand der Gesellschaft zu leisten.
Zuerst muss also die Begriffsverwirrung aufgelöst werden. Grundeinkommen, „Grüne Grundsicherung“, „liberales“ (FDP) und „solidarisches“ (Althaus) Bürgergeld, negative Einkommensteuer – nur verschiedene Namen für das gleiche Konzept? Keineswegs: Die Unterschiede sind zum Teil so groß, dass mit den Konzepten geradezu gegenläufige Ziele verfolgt werden.
Das wird deutlich, sobald man das Konzept betrachtet, das in den Siebzigerjahren unter dem Begriff „Existenzgeld“ in Kreisen linker Theoretiker entwickelt wurde und den Fluchtpunkt der Debatte immer noch am besten beschreibt. Das Existenzgeld ist ein bedarfsdeckendes, bedingungs- und unterschiedslos ausgezahltes Grundeinkommen, auf das alle Bürger ein Anrecht haben.
„Bedarfsdeckend“ heißt: Wie hoch das Grundeinkommen sein soll, ist umstritten. Das wichtigste Kriterium ist, dass es ausreichen muss, um ein Leben in gesellschaftlicher Teilhabe zu ermöglichen. Auch für van Parijs ist es denkbar, mit einem niedrigen Grundeinkommen zu beginnen, und es dann nach und nach zu erhöhen. Es darf jedoch nicht an oder unter der Armutsgrenze liegen, wie etwa das von Althaus vorgeschlagene „solidarische Grundeinkommen“. Denn dabei bliebe zum einen der Zwang zur Erwerbsarbeit bestehen, zum anderen könnte der Staat – also die Gesellschaft – in der Tat nicht mehr steuernd eingreifen.
„Bedingungslos“: Auch diese Eigenschaft gehört zu einem „echten“ Existenzgeld, denn das, was etwa die FDP meist als Bürgergeld bezeichnet, ist immer mit einem Arbeitszwang verbunden. Besonders paradox muss dieser Arbeitszwang erscheinen, wenn er sich, wie vom Soziologen Ulrich Beck vorgeschlagen, auf so genannte „Bürgerarbeiten“ beziehen soll, also etwa auf die Erziehung der eigenen Kinder, die Pflege Angehöriger und ehrenamtliche Arbeit. Es ist eine seltsame Vorstellung, Menschen ausgerechnet zu den Tätigkeiten zwingen zu wollen, die typischerweise aus Motiven wie Nächstenliebe oder politischem Engagement erbracht werden. Dazu kommt, dass eine derartige „Lebensführungsregulierung“ nicht mit dem Bild eines selbstbestimmten Lebens in Einklang zu bringen ist, wie es aufgeklärte demokratische Gesellschaften ermöglichen sollten.
Ähnlich widersprüchlich wie die Forderung nach erzwungener „Bürgerarbeit“ ist das Argument, diejenigen, die ein Existenzgeld erhielten, verlören mit einem Schlag jegliche Motivation zum Arbeiten, so dass die auf Güterproduktion basierende Gesellschaft kollabieren müsste. Die Frage wird seltsamerweise zumeist von denen aufgeworfen, für die Arbeit oft viel mehr ist als einzig Gelderwerb, die bei anderen aber eine solche Motivation nicht für möglich halten. André Gorz schreibt in seinem Buch „Arbeit zwischen Misere und Utopie“, dass eine solche These eigentlich nur von denjenigen vorgebracht werden dürfte, „für die Arbeit eine widrige Nötigung ist und die deshalb nicht einsehen, warum andere sich ihr entziehen dürfen, wenn sie sich selbst ihr unterwerfen müssen. Diejenigen hingegen, für die Arbeit einen Wert hat, die sie als Selbstverwirklichung und Selbstbehauptung ansehen und nutzen können, müssten die Meinung vertreten, dass Lust und Freude am Arbeiten mit Arbeitszwang unvereinbar sind und durch dessen Abwesenheit erhöht werden.“
Auch dass ein Existenzgeld zwangsläufig das Ende der Marktwirtschaft bedeuten würde, ist ein weit verbreitetes Missverständnis. Alle Modelle haben gemeinsam, dass sie auf dem Prinzip einer funktionierenden Marktwirtschaft aufsetzen. Das Geld für alle Modelle wird aus dem produzierten Mehrwert der Gesellschaft genommen. Zwar wären Menschen nicht mehr wie bisher dazu gezwungen, ihre Arbeitskraft auf einem vermeintlichen Markt zu Preisen anzubieten, die ihnen aufgrund des systematischen Machtungleichgewichts zugunsten der Kapitalbesitzer diktiert werden können. Zugleich könnte die Arbeitskraft wesentlich geringer bezahlt werden, da es ja das Existenzgeld als Sockel gäbe – die Arbeitsplatzkosten für die Industrie würden also fallen. Das Prinzip Marktwirtschaft würde also nicht in seinen Grundfesten erschüttert, lediglich die Bedeutung der Erwerbsarbeit würde völlig neu definiert.
Schließlich das Gegenseitigkeitsargument: Wie kann es gerecht sein, dass jemand in einer Gesellschaft eine LeisÂtung ohne Gegenleistung bekommt? Das ist eine Frage, die nicht sehr viel mit ExisÂtenzgeld oder Grundeinkommen zu tun hat. Denn schon immer hat es gesellschaftliche Leistungen gegeben, die nicht mit Geld entlohnt wurden. Dass Kinderziehung eine Leistung ist, ist unbestritten – ob es aber eine Gegenleistung dafür gibt, und ob eine solche GegenleisÂtung ausreichend wäre, wird spätestens seit den Sechzigerjahren diskutiert. Dass ehrenamtliche Tätigkeiten wichtig sind, wird gerade in der Politik gerne betont – welche Gegenleistung soll aber angemessen sein? Als Gegenleistung wird keine Bezahlung erwartet – aber ohne Bezahlung sind solche Tätigkeiten abhängig von bezahlter Erwerbsarbeit.
Ein Existenzgeld würde genau diese Abhängigkeit lösen. Da es nicht mehr nötig wäre, für seine Existenz sorgen zu müssen, gäbe es einen größeren Spielraum, sich zu überlegen, wie man seine Zeit am sinnvollsten einsetzen will. Warum nicht arbeiten gehen – für Geld? Oder eher mit anderen an besseren Konzepten für die Altenpflege arbeiten – ohne Bezahlung? Das Existenzgeld wäre der Ausdruck des gesellschaftlichen, solidarischen Willens, Tätigkeiten zu entlohnen, die der Gesellschaft zugute kommen, ohne dass diese Tätigkeiten als Erwerbsarbeit definiert und damit ökonomisiert werden. Zudem blieben die Prinzipien der Marktwirtschaft erhalten. Das Existenzgeld würde die Grundbedürfnisse decken, jeder könnte so viel dazu verdienen, wie es ihm oder ihr sinnvoll und nötig erscheint. Da dieses Geld nicht mehr zur eigenen Absicherung nötig wäre, wäre weiterhin die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass es für Konsum verwendet würde.
Man muss Populisten wie Althaus und Werner dankbar sein, dem Thema Grundeinkommen wieder zu Aufmerksamkeit verholfen zu haben. Auch stecken vor allem in Werners Konzept einige der guten Ideen, die in der ExisÂtenzgelddebatte bereits vor langer Zeit entwickelt wurden. Wichtig ist zu verstehen, dass das bedingungslose Grundeinkommen/Existenzgeld kein Allheilmittel für gesellschaftliche Probleme aller Art ist, sondern der Beginn, sich anders mit diesen Problemen auseinanderzusetzen. Weiterkommen wird aber nur, wer den Ideen und Analysen von Philippe van Parijs und André Gorz Beachtung schenkt – und nicht denjenigen, die sich jetzt mit dem Schlagwort „Grundeinkommen“ profilieren wollen, damit aber nichts anderes meinen als ein aufgestocktes Arbeitslosengeld II, das weiter dem Modell – teils erzwungener – Erwerbsarbeit verhaftet bliebe.
(c) Andreas Eisenhauer / Matthias Spielkamp – Zeitzeichen – Evangelische Kommentare zu Religion und Gesellschaft, 1/2008
a.gu.He. ++
Die Denkansaetze zu Existenzgeld+Grundeinkommen sind gut , basieren jedoch zu stark auf Historie+Eigentum und zu wenig auf Selbst.Denken als dem natuerlichen Gestalten von SEIN im Universum ++ Direkte Geldschoepfung ist sehr wahrscheinlich besser …