Man muss aufpassen, nicht als beleidigter Eiferer zu erscheinen, wenn es um die eigenen Texte und Standpunkte geht. Aber was die taz gerade macht, ist so peinlich, dass es kracht. Auf den unsäglichen taz-Artikel von Rudolf Walther hatte ich bereits hingewiesen; und mit mir eine Armada von „Bloggern“, wie die taz sie nennt.
Und hier folgt der Perspektivwechsel, denn jetzt geht es nicht mehr um Google Books, Open Access und den Heidelberger Appell. Jetzt geht es um Journalismus im Jahr 2009.
Denn was die Darstellung der taz im heute erschienenen Artikel Open Access oder ‚Open Enteignung‘? von Ben Schwan zeigt ist, dass sie sich dort offenbar nicht mit dem Gedanken anfreunden können, dass in diesem Fall „Blogger“ Menschen sind, die sich hervorragend mit einem Thema auskennen und die sie in anderen Fällen als „Experten“ in ihren Artikeln zitieren würden (Wissenschaftler, Archivare, Bibliothekare usw.), denen aber das Internet jetzt die Möglichkeit gegeben hat, selbst zu publizieren.
Für einige bei der taz sind das offenbar immer noch die „Klowände des Internets“, wie es der Werbeagenturchef Jean-Remy von Matt so unnachahmlich formuliert hat. Aber das ist eine Weile her und er ist wenigstens lernfähig. Ich erinnere gern an Peggy Noonan, Kolumnistin des „Wall Street Journal“, die vor ziemlich langer Zeit (2005) schrieb: „Mainstream-Medien sind nicht vorbei. Sie können nur nicht mehr auftreten als Der Wächter der Unzweifelhaften Wahrheit. Die Mainstream-Medien sind jetzt nur noch ein Akteur unter vielen. Ein großer, aber eben nur ein Akteur.“
Was tut die taz also, wenn einem ihrer Autoren in den eigenen Kommentarspalten und zahlreichen Internet-Publikationen Recherche- und Verständnisfehler nachgewiesen werden, die so krass sind, dass sie sich nicht als Missverständnisse darstellen lassen? Sie gibt dem Autor die Gelegenheit, einen zweiten Text nachzuschieben, in dem er den gleichen Quatsch nochmal „weiter drehen“ kann, wie es in der Medienbranche so schön heißt („Deutschlands Kulturelite schlägt zurück: Schöne neue Google-Demokratie“ – den verlinke ich jetzt hier nicht. Wäre ja noch schöner).
Da möchte man an Bismarck erinnern, der sagte: „Je weniger die Leute wissen, wie Würste und Gesetze gemacht werden, desto besser schlafen sie!“ und ergänzen: und Journalismus!
Wenn es dann aber komplett unhaltbar wird und sich auch in der Redaktion die Erkenntnis durchsetzt, dass etwas falsch gelaufen ist (und hier muss ich sagen: Kann passieren! Mir unterlaufen auch Fehler! Aber: Es kommt nicht darauf an, dass man nie Fehler macht, sondern wie man damit umgeht.), dann – ja dann wird jemand damit beauftragt, einen Text dazu zu schreiben, der das Kunststück vollbringen muss, auf die massive Kritik einzugehen, so dass man erkennen kann: ach, die merken’s also doch noch, gleichzeitig aber den Eindruck zu erwecken, die völlig fehlerhafte Darstellung von Fakten sei nicht Unfähigkeit gewesen, sondern die Leistung der taz, eine Debatte anzustoßen („Wie soll der Zugang zu digitalem Wissen aussehen? Nach einem taz-Text ist in den Blogs ein Streit um die Verfügbarmachung wissenschaftlicher Informationen entbrannt.“), ohne einen einzigen Fehler einzugestehen. Respekt, Herr Kollege Schwan, damit haben Sie sich als Pressesprecher der Bundesregierung qualifiziert!
So kunstvoll wie schamlos wird es dann, wenn in dem selben Text versucht wird, die Kritik an Walthers Artikel für die eigenen Zwecke zu vereinnahmen. Schwan schreibt:
Matthias Spielkamp, Experte für digitale Rechte, meldet sich auf Perlentaucher zu Wort und schreibt, Google habe mit seiner Buchdigitalisierung Fakten geschaffen, um anschließend unter dem Einsatz von Millionen US-Dollar an Anwaltshonoraren mit den US-Verleger- und Autorenverbänden eine Einigung zu erzielen. „Der müssen sich jetzt alle Verleger und Autoren beugen, da es sich um eine so genannte, dem deutsche Recht fremde „Class Action“ handelt, die eine quasi-gesetzliche Wirkung für alle Angehörige einer Klasse entfaltet.“
Richtig, lieber Herr Schwan, und liebe taz, das habe ich geschrieben. Und das sieht so aus, als sei ich Ihrer und Herrn Walthers Meinung, nicht wahr? Ich habe aber auch folgendes geschrieben:
Rudolf Walther verschärft die Desinformation in der taz noch und behauptet, die Bibliothek von Yale habe allein für den „open access“ zu einem einzigen Artikel aus Biomed Central Tausende von Dollar zahlen müssen: „Im Jahr 2005 kostete es die Universität Yale noch 4.648 Dollar, ihren Forschern einen einzigen Artikel aus einer digital erscheinenden hochspezialisierten biomedizinischen Zeitschrift zugänglich zu machen. Ein Jahr später verlangten die Quasi-Monopolisten 31.625 Dollar pro Artikel.“ Das ist nun völlig gaga. Walther verwechselt die Kosten für das Einreichen aller Yale-Artikel eines Jahres bei Biomed Central mit dem Zugang zu diesen Artikeln in Bibliotheken und weltweit über das Internet, der bei „Open Access“ definitionsgemäß kostenlos ist.
Es hätte Größe gehabt, darauf einzugehen (und auch die Punkte, die Klaus Graf anspricht, statt ihn mit dem Zitat „Auch taz hetzt jetzt gegen Open Access“ wie einen Spinner dastehen zu lassen); man muss es ja nicht gleich zitieren 😉 . Es hätte gezeigt, dass man aus Debatten lernen kann, dass man versteht, dass man in einer Welt neuer journalistischer Herausforderungen diese Herausforderungen annimmt und Wert darauf legt, die eigenen Leser zu informieren, so gut man kann. Stattdessen scheint der „Berliner Appell“ wohl gewesen zu sein: „Einmauern, Kollegen, keine Handbreit zurückweichen. Wir haben die Definitionsmacht darüber, was richtig und was falsch ist, wir sind die Journalisten!“
Denn: nein, es stimmt eben einfach nicht, dass die „Die Wahrheit […] wie so häufig irgendwo in der Mitte liegen“ dürfte, wie Schwan so windelweich wie einfallslos schreibt. Sondern: Der „Wahrheit“ kommt man dann nahe, wenn man sich die Mühe macht zu verstehen, worum es geht. Im Journalismus heißt das Recherche. Dass Rudolf Walther sich diese Mühe nicht gemacht hat: geschenkt. Das Thema hier ist längst ein anderes: Warum geht die taz damit auf so peinliche Weise um?
Disclosure: Ich bin taz-Genosse, taz-Abonnent und gelegentlich auch taz-Autor. Der geneigte Leser merkt schon: Ich lege hier andere Maßstäbe an, als ich sie bei anderen Zeitungen anlegen würde. Weil ich höhere Erwartungen hatte. Und auch noch habe; so schnell gebe ich nicht auf. So ist das mit enttäuschter Liebe…
Uff. Das ist alles so …
Kathrin Braungardts Blog » Blog Archive » Open Access Diskussion // Mrz 26, 2009 at 6:56 pm
[…] außerdem auf die digitale Nachlieferung der taz am 26.3. nochmals in seinem Blog mit “Die taz, Open Access, Web2.0 und Journalismus: Wie peinlich kann es werden?“. Posted in […]
Das ist bei der taz in den letzten Jahren aber leider nix Neues mehr, daß die Recherche für ziemlich optional halten.
Ich habe die früher auch immer mal gerne gelesen, aber seitdem die sich gleich zwei unglaubliche Klöpse in „meinem“ Feld (Transgender) geleistet haben, verzichte ich dankend. Ich kann ja nicht immer wissen, wie gut der Autor eines Textes informiert ist, oder wie ansatzweise neutral. Und wenn ich einer Zeitung nur noch das Vertrauen entgegenbringen kann, was ich der Zeitung mit den vier großen Buchstaben entgegenbringen kann, nun, dann ist das Lesen Zeitverschwendung.
Hallo SamZidat, spielte da ein gewisser Arno Frank eine Rolle? 🙁
Beim letzten Klops, ja.
Mathias as one of your great students i would really enjoy to be reading your blogs in English as i haven’t perfected my German language i hope you are OK good read though i had it translated through Google translations tools (your suggestion while in class in Berlin 2007)
cheers
Ken Anami