Oh jeh – schon wieder Thesen! Nun, halb zog es ihn, halb sank er hin… „Es“ ist das Institut zur Förderung des publizistischen Nachwuchses e.V. (ich liebe es, wenn der Genitiv geehrt wird), auch bekannt als die katholische Journalistenschule. Einmal jährlich veranstaltet das IfP ein Kolloquium, bei dem Ausbilder aus verschiedenen Redaktionen (viele kirchliche, aber auch einige nicht-kirchliche Publikationen darunter) zusammenkommen und darüber diskutieren, wie eine gute Journalistenausbildung aussehen kann. Die Einladung, vor diesen Kolleginnen und Kollegen zu sprechen, habe ich als große Ehre empfunden, denn immerhin unterrichte ich jetzt seit mehr als zehn Jahren, und da freut es ich sehr, wenn andere der Ansicht sind, ich kann etwas dazu beitragen, wie sich die Journalistenausbildung weiter entwickelt.
Burkhard Schäfers vom IfP hat mich also gebeten, einen Vortrag zu halten unter der Überschrift „Social Networks – wie der aktive Nutzer den Journalismus verändert“ – und aufgefordert, Thesen dazu zu formulieren, um die Diskussion in Gang zu bringen. Nun bin ich nicht der Thesen-Typ, und die Thesenflut vor allem der vergangenen Wochen kann man ja auch nur auf eine Art beantworten. Aber es ist richtig, dass Thesen auch Ihr Gutes haben, denn man muss sehr stark synthetisieren, was man zum Ausdruck bringen will. Daher hat es auch Spaß gemacht. Hier sind sie also, meine Fünf Thesen zur Journalistenausbildung (alle Folien des Vortrags darunter)
- Es geht um Journalismus – nicht Online-Journalismus
- Jeder Verlag, jeder Sender muss „digital residents“ als Ausbilder haben
- Fail early and often – für eine „Fehlerkultur“
- Souveräne Journalisten freuen sich über Widerspruch
- Redaktionen müssen von ihren Volontären lernen (also Volontäre finden, von denen sie etwas lernen können)
Hier die gesamte Präsentation (auch als PDF zum Download, 6 MB)
Fuenf Thesen zur Journalistenausbildung
ob der Punkt “Souveräne Journalisten freuen sich über Widerspruch” nicht etwas übers Ziel hinaus schießt. Würde hier nicht “Souveräne Journalisten reagieren auf öffentlichen Widerspruch” zunächst ausreichen?
Denn nicht jeder Widerspruch ist eine Freude: Wer je in die Schusslinie von Meinungskämpfern geriet, die ihre fehlende Korrektheit zum Markenzeichen gemacht haben (und so auch ihr Sammelbecken nennen) oder von Vertretern einer bestimmten Glaubensgemeinschaft in ziellose Debatten verstrickt wurde, der weiß: Freude geht anders.
Meine Antwort: Ohne jetzt zu harmoniebedürftig sein zu wollen, denke ich, dass es sich nur um eine Definitionsfrage handelt. Dirk hat mit allem Recht, was er schreibt, nur habe ich beim Formulieren nicht einfach jeden Kommentar im Sinn gehabt, sondern den Widerspruch als die Äußerung einer gegensätzlichen Meinung als qualifizierte Entgegnung, die nicht nur polemisch oder ad hominem darauf zielt, den anderen lächerlich zu machen oder zu verletzten. Dass die Realität anders aussieht, weiß ich leider auch aus eigener Erfahrung. Selbstverständlich gibt es gute und schlechte Kommentare.
Guten Tag!
Was für ein Zufall – gestern habe ich mich mal wieder gefragt, warum so viel schlecher Journalismus gemacht wird?
Warum werden uns jeden Tag so viele „Bratwürste“ vorgesetzt? Warum steht in den Lokalzeitungen überwiegend Geschwurbel? Warum gibt es keine Nachrichten? Wieso sind die Kommentare so unterirdisch schlecht?
Hinter jeder Veröffentlichung steht ein Autor. Der ist verantwortlich für das, was er veröffentlicht.
Hinter jedem Autoren steht aber eine Redaktion und deren Leitung, die ist veranwortlich für das, was im Medium veröffentlicht wird.
Und dahinter stehen Verlage und deren Leitungen, die finanzieren die Arbeit der Redaktionen und damit die Veröffentlichungen.
Was mir auffällt, ist der schlechte Ausbildungsstand der „Kollegen“. In Pressekonferenzen möchte ich mich manchmal „fremdschämen“ für die blöden Fragen, die diese „Kollegen“ immer wieder stellen.
Die Recherche liegt in vielen Redaktionen brach. Oder anders: Man kann nur den Eindruck haben, dass viele gar nicht wissen, was Recherche ist.
Die Duckmäusermentalität mancher „Kollegen“ ist unterträglich. Das Rangeschleime an vermeintlich „mächtige“ Personen wie Chefs aller Art ist widerlich. Widerlicher ist da nur die in jeder Hinsicht unangebrachte Eitelkeit vieler „Kollegen“.
Die Ziellosigkeit und Beliebigkeit der Berichterstattung, vor allem im Lokalen, ist unerträglich. Statt Themen kontinuierlich zu verfolgen, wird Tag um Tag irgendwas berichtet. Der Blick ins Archiv, die Idee, mal einen Zwischenstand über das bisherige Geschehen zu veröffentlichen, die Mühe, Fakten zusammenzutragen und zu visualisieren ist fast nirgends erkennbar.
Die Verlage verlangen Billig-Journalismus, die Redaktionsleitungen reichen das nach unten durch bis ins letzte Glied, dem freien Mitarbeiter.
Reflektion, kritische Begleitung, lebenslanges Lernen, Unabhängigkeit, Distanz sind Stichworte, die den Journalismus von heute nur theoretisch beschreiben. Praktisch haben sie nur selten eine Bedeutung.
Das IfP scheint eine gute Arbeit zu machen, denn viele bekannte Journalisten haben hier mal was gelernt. Weiter so!
Journalismus ist ein anstrengender Beruf, wenn man gute Qualität liefern will. Das gilt für die meisten Berufe.
Dazu gehört, wie Herr Spielkamp richtig bemerkt, dass man aus Fehlern lernt. Hinter dieser These steckt aber noch eine viel wichtigere Haltung: Die Bereitschaft zu lernen. Leider glauben viele „Journalisten“ immer noch, sie müssten nichts dazulernen, sondern müssten andere belehren. Das ist ein fataler Denkfehler, mit dem leider jeden Tag die allermeisten aufstehen.
Beste Grüße
Hardy Prothmann
Hallo Hardy, vielen Dank für den ausführlichen Kommentar. Ich denke, Du hast mit allem Recht, und natürlich muss es um mehr gehen als das, was ich aufgeschrieben habe. Das kann nur ein kleiner Teil sein.
Gute Sache – noch spannender ist aber wie bei (fast) allen Präsentationen das, was Du dazu erzählt hast 😉
Besonders gut finde ich „Redaktionen müssen von ihren Volontären lernen.“ ABER, das reicht nicht.
Redaktionen müssen von Ihrern Lesern, Zuschauern, Grafikern, IT-Leuten, Fotografen, Sekretärinnen usw lernen.
Redaktionen müssen lernen.
Auch ausgebildte Redakteure müssen lernen.
Guter Journalismus braucht Fortbildung.
Matthias Spielkamp: Wie der aktive Nutzer den Journalismus verändert // Sep 17, 2010 at 3:18 pm
[…] zu halten – und Matthias Spielkamp hat ihn gestern bereits gehalten – und hierfür 5 Thesen für die Journalistenausbildung […]
@Hardy
Das hatte Christian Lindner vor einigen Wochen schon gut beschrieben.
@Matthias
So lange ‚lernen‘ noch mit ‚unterlegen sein‘ assoziiert wird, dürfte das schwierig werden.
Mach bitte weiter gute Materialien: am 1.10. fängt meine Ausbildung an …
vielen, vielen Dank! Gibt es den Vortrag auch als Video- oder Tonaufzeichnung?
hi mathias,
gute thesen. mag ich 🙂
vor allem hab ich noch nie in dieser schlichten deutlichkeit die forderung nach „digital residents“ in der aus- und fortbildung gelesen.
auch die aufforderung zur suche nach zukunftszugewandten volos finde ich sehr wichtig. passiert hier und da bislang viel viel zu selten.
best,
marcus
Danke schon mal an die zustimmenden Kommentare! Der Link zur PDF-Ausgabe war kaputt, ist jetzt repariert.
@stk: Nein, gibt es nicht; das war ein interner Workshop, und da viele Fragen und Anmerkungen gab, hätte ich sie ohnehin nicht veröffentlichen können.
@vera: Ja, zu glauben, „überlegen zu sein“, wenn man ausbildet, ist wahrlich keine gute Eigenschaft. Den EIndruck, dass diese Haltung bei dem Kolloquium herrschte, hatte ich allerdings nicht. Es war eher so, dass gerade beim Thema Social Media eine große Offenheit da war, von jungen Kolleginnen und Kollegen zu lernen. Hoffentlich ist das dann in der Praxis auch so. Ich habe allerdings auch nicht verschwiegen, dass „jung“ zu selten bedeutet: versiert im Umgang mit dem Netz. Daher mein Klammersatz, dass man eben auch solche Volontäre suchen muss, von denen man tatsächlich etwas lernen kann.
Digitale Notizen » Blog Archive » Freude am Widerspruch? // Sep 18, 2010 at 1:56 pm
[…] geschätzte Kollege Matthias Spielkamp hat fünf Thesen zur Journalistenausbildung veröffentlicht, die einen sehr spannenden Blick auf den sich verändernden Beruf des Journalisten […]
Über das Dilemma der Journalistenausbildung | Björn Sievers // Sep 23, 2010 at 10:35 am
[…] sollten. Die Debatte, die der geschätzte Kollege Matthias Spielkamp vor einigen Tagen mit seinen Thesen zur Journalistenausbildung begonnen hat und die der ebenso geschätzte Kollege Christian Jakubetz mit seinem Buchprojekt […]
Vier Lesehinweise zum Thema “Journalistenausbildung” // Sep 23, 2010 at 2:48 pm
[…] Die passenden Folien zum Vortrag sowie einige Erläuterungen und Kommentare finden sich in Spielkamps Immateriblog unter dem Titel: “Fünf Thesen zur Journalistenausbildung“. […]
Immateriblog.de - Matthias Spielkamp über Immaterialgüter in der digitalen Welt // Nov 7, 2010 at 11:05 am
[…] View more presentations from spieli. Mehr Infos und eine Diskussion dazu gibt’s im Beitrag Fünf Thesen zur Journalistenausbildung. Tweet This Post Diesen Beitrag […]