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Matthias Spielkamp über Immaterialgüter in der digitalen Welt

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KollegInnen, macht die Augen auf! Zum Verdi-Positionspapier zum Urheberrecht

Oktober 30th, 2010 · 31 Comments · angemessene Vergütung, In eigener Sache, Leistungsschutzrecht, Lobbyismus, Open Access, Urheberrecht

Der Verdi-Bundesvorstand hat das Positionspapier „Internet und Digitalisierung – Herausforderungen für die Zukunft des Urheberrechts“ verabschiedet. Das Papier strotzt vor Unkenntnis und analytischen Kurzschlüssen  (vom schlechtem Stil zu schweigen). Die Herausforderungen der Zukunft an das Urheberrecht wird Verdi mit den darin vertretenen Positionen jedenfalls nicht bestehen.

Irgendwann im Sommer, es muss im Juli gewesen sein, wurde im Verdi-Mitgliedernetz ein Diskussionspapier zum Urheberrecht veröffentlicht. Mitglieder sollten die Möglichkeit haben, dazu Stellung zu nehmen. Ich bin Mitglied und als Journalist auf Urheberrechtsfragen spezialisiert. Einen Hinweis auf das Papier habe ich über offizielle Kanäle nicht bekommen (etwa in einem der Verdi-Newsletter, die ich abonniert habe). Irgendwann wurde ich von Kollegen darauf aufmerksam gemacht. Zu dem Zeitpunkt hatten drei oder vier KollegInnen kommentiert; viel mehr sind es dann auch nicht mehr geworden. Es ist schwierig, in einem Meer von Neuigkeiten auf derartige Dinge aufmerksam zu machen, aber ich denke, da wäre mehr drin gewesen.

Als ich das Papier gelesen habe, konnte ich jedoch nicht umhin zu denken, dass eine Auseinandersetzung gar nicht gewünscht war. Die Positionen, die dort vertreten wurden, waren derart einseitig und schlecht informiert, dass die AutorInnen hätten fürchten müssen, dass es ihnen von den Mitgliedern zerpflückt worden wäre. Die wenigen Kommentare waren eindeutig negativ.

Nun hat die Gewerkschaft seit Jahren ihre Schwierigkeiten mit der Digitalisierung und deren Auswirkungen auf das Urheberrecht. Wo früher die Fronten klar gezogen waren (hier die Gewerkschaft, dort die Verlage), herrscht heute Verwirrung. Da gibt es auf einmal das Internet und Nutzer, die selber publizieren, ihre Musik veröffentlichen, Videos hochladen können. Und Mitglieder, die zugleich Nutzer und Urheber sind.

Ich habe mir die Mühe gemacht, das Diskussionspapier ausführlich zu kommentieren, in der Hoffnung, die AutorInnen (namentlich sind sie bis heute nicht genannt) könnten Interesse an meinen Einschätzungen dazu haben. Als nun heute das Papier auftauchte, das bereits am Montag beschlossen worden war, war klar: nahezu nichts [1. Meine Anmerkung zur Kulturflatrate hat tatsächlich Eingang ins Dokument gefunden, und das in einem inhaltlich eher nebensächlichen Aspekt, der ver.di aber strategisch auf die Füße hätte fallen können. Im Diskussionspapier war nämlich behauptet worden, das Justizministerium habe gesagt, sie würde für jeden Verbraucher 50 Euro im Monat betragen. Dazu schrieb ich:

Aber nein, liebe Kolleginnen und Kollegen (falls es Euch interessiert), so ist es nicht. Der Quatsch entstammt direkt dem „Positionspapier zur Kulturflatrate” des Bundesverbands Musikindustrie. Worauf beruht die Zahl? Auf einer aus dem Ärmel geschüttelten Interview-Äußerung der Ex-Justizministerin Zypries, die nie ein größeres Interesse daran gezeigt hat, die Kulturflatrate unvoreingenommen zu prüfen.

Bei der Musikindustrie werden daraus „Schätzungen der Bundesjustizministerin“, was noch näher an der Wahrheit ist als das, was man nun in dem ver.di-Papier lesen muss. S. dazu meinen offenen Brief an die Musikindustrie mit der Überschrift Illegale Downloads und fragwürdige Zahlen, der bei Zeit Online erschienen ist.] von allem war eingeflossen. Das verletzt nicht meine Eitelkeit, denn ich hatte von Anfang an meine Zweifel daran gehabt, dass das passiert – auch, wenn es „Diskussionspapier“ genannt wurde.

Aber das ist der Grund, warum ich hier die Gelegenheit nutze, einen Teil meiner Einwände gegen das Dokument aufzulisten, da mir weiterhin daran gelegen ist, dass die Gewerkschaft, in der ich Mitglied bin, in der Tat zukunftsfähige Positionen zum Urheberrecht entwickelt. Da sich im Vergleich zum verabschiedeten Papier (PDF, 120 kb) nahezu nichts geändert hat, kann es als Grundlage dienen, meine Anmerkungen zu verstehen:

Obwohl in der Einführung auf die positiven Aspekte von Digitalisierung und Internet hingewiesen wird, ist die Tendenz doch leider überwiegend eine negative: Durch unsinnige Analogien („Es entspricht einem breiten gesellschaftlichen Konsens und dem Selbstverständnis der Gewerkschaft, dass Rechtsverstöße (wie Betrug, Erpressung, Nazipropaganda, Verleumdungen), wo immer sie geschehen, zu unterbinden und erforderlichenfalls zu ahnden sind.“) wird versucht, Urhebeberrechtsverstöße in die Nähe derartiger Taten zu rücken. Was soll das eine mit dem anderen zu tun haben?

Mit dieser Strategie, Analogien zu unterstellen, wo keine sind, geht es weiter: Zwar „haben es ganze Zweige der Medien- und Kulturbranche „verschlafen“, neben den herkömmlichen Vertriebswegen tragfähige Geschäftsmodelle für den Vertriebsweg Internet aufzusetzen und darüber nennenswerte Einnahmen zu generieren“ (stimmt), aber es gibt ja auf der anderen Seite die „weit verbreitete Mentalität der Nutzer/innen, im Netz müsse möglichst alles gratis sein, sowie die systematische sekundäre Verwertung von Angeboten im Internet durch Dritte“, die alles so schwierig werden lässt. Und ohnehin ist die „Erlössituation der Verwertungsunternehmen […] schwieriger geworden“.

Der Reihe nach:

“Umsonstmentalität“

– gern auch Geiz-ist-geil-Mentalität genannt. Es gibt sie natürlich, aber sie hat mit den Umbrüchen durch das Internet so gut wie nichts zu tun, schon gar nicht in der Verlagsindustrie. Wann hätten wir mal davon gelesen, dass Zeitungskäufern oder Fernsehzuschauern eine Umsonstmentalität unterstellt worden wäre? Und doch wäre das nach dem Muster des vorliegenden Papiers völlig berechtigt gewesen, denn die Inhalte in der Zeitung werden durch Werbung finanziert (der Verkaufserlös geht für den Vertrieb drauf, also die Nachrichten auf Papier zu drucken, mit dem LKW durchs Land zu fahren und Kioske zu betreiben, an denen die Zeitungen gekauft werden können), und im privaten Fernsehen wird sogar der Vertriebsweg (die Sendeanlagen) durch Werbung finanziert. Liegt also auch hier eine „indirekt auch von einigen Verwertern forcierte – weit verbreitete Mentalität der Nutzer/innen, im Netz müsse möglichst alles gratis sein“ vor? Wenn ja, warum ist ver.di nie auf die Barrikaden gegangen und hat die Mitglieder aufgefordert, nur öffentlich-rechtliches (durch Gebühren finanziertes) Fernsehen zu schauen und die taz zu lesen, die so gut wie keine Werbeeinnahmen hat?

Was man zur Kenntnis nehmen muss (weil es eine Tatsache ist und sie nicht wieder verschwinden wird), ist, dass sich die Marktstrukturen durch Digitalisierung und Internet grundlegend geändert haben. Das hat nichts mit Technikgläubigkeit zu tun, oder dass man unterstellt, das Netz funktioniere nach Naturgesetzen, auf die wir keinen Einfluss nehmen könnten. Es hat aber etwas mit ökonomischem Sachverstand zu tun. Wenn ich Informationen im Internet angeboten bekomme, ohne dass ich dafür direkt bezahlen muss (indirekt bezahle ich ohnehin dafür, über die Werbung) bin ich kein schlechter Mensch, wenn ich nicht darauf verzichte und stattdessen am Kiosk eine Zeitung kaufe. Sondern ich nehme ein Angebot wahr.

Und wenn die Anbieter ihre Informationen kostenlos veröffentlichen, dann aus einem Marktzwang heraus, denn der Konkurrent, der es sonst tut, sitzt im Büro nebenan. Warum? Weil die Möglichkeit besteht und die Vertriebskosten im Gegensatz zur Zeitungsproduktion so unglaublich gering sind. Kann man das denn nicht ändern? Doch: Indem man das Internet wieder abschafft.

“systematische sekundäre Verwertung von Angeboten im Internet durch Dritte“

Es ist erschütternd, diese Aussage hier zu sehen. Denn dass es im Netz diese Verwertung gibt, ist die zentrale Behauptung der Presseverlage dafür, ein Leistungsschutzrecht einzuführen. Nun wäre es selbstverständlich falsch zu sagen: „Es ist die Behauptung der Verwerter, also darf man sich ihr als Gewerkschaft nicht anschließen“. Nur ist die Behauptung selbst falsch. Die Verwerter sind bis heute jeden (jeden!) Beleg dafür schuldig geblieben, dass diese systematische und – wichtig – illegale Verwertung stattfindet. Auf zahllosen Podien, auf einigen davon war ich selbst als Diskussionsteilnehmer, unter anderem mit Springers Chef-Lobbyist Christoph Keese, wird immer wieder angeführt, dass es Angebote gebe, die diese systematische Auswertung der Verlagsangebote vornehmen. Auf Nachfrage hat sich bisher keiner der Verlagsvertreter in der Lage gesehen, diese Behauptung zu belegen.

Nun kann ich nicht die inzwischen quälend lange und komplexe Diskussion um das Leistungsschutzrecht hier in einem Absatz zusammenfassen, aber ich möchte auf den Beitrag hinweisen, den wir bei iRights.info zum Gesetzesentwurf der Verleger, der von dju und DJV kommentiert wurde, veröffentlicht haben: iRights.info veröffentlicht und kommentiert den Entwurf für das Leistungsschutzrecht für Presseverleger

Nur kurz die wichtigsten Stichworte:

  • Die Frage, was überhaupt ein ,,Presseerzeugnis“ ist, ist ungeklärt (und wahrscheinlich nicht sinnvoll zu klären). Das Problem daran: Das neue Recht geriete in Konflikt mit den Urheberrechen der Autoren (die ver.di in diesem Papier als so schützenswert preist – was sie auch sind).
  • Das Leistungsschutzrecht würde Verwertern eine sehr weit gehende Kontrolle über Veröffentlichungen einräumen.
  • Die Arbeit von Suchmaschinen und Aggregatoren (von der wir alle jeden Tag Dutzende Male profitieren) würde erschwert.
  • Es könnten Monoplorechte an einzelnen Sätzen oder gar Wörtern entstehen.
  • Wir alle zahlen dafür: Indirekt über die Kosten für Produkte und Dienstleistungen (denn Volksbank und Kaiser’s müssten zahlen), über Abgaben (denn die öffentliche Hand müsste enorme Zahlungen leisten) oder auch direkt (Freiberufler und Gewerbetreibende – ja, auch die sind Mitglied bei ver.di – wie ich – und möchten ihre Interessen vertreten sehen). Es handelt sich also um eine Abgabe, die wir alle an Verlage leisten.

Der Grund: Es soll den Verlagen besser gehen (wann hat man mal gehört, dass das das Ziel ist, für das ver.di kämpfen sollte?), denn damit gehe es dem Journalismus und den Journalisten besser.

Dieses In-Eins-Setzen der Ziele von Verlagen und Mitarbeitern (Angestellten und freien) ist ebenso falsch wie gefährlich. Falsch ist es zum einen empirisch, wenn es um freiberufliche Mitarbeiter geht. Denn die Misere der Honorare für Freiberufler ist alles andere als neu; auch in lange zurückliegenden Honorarumfragen (mehrfach z.B. durch Goetz Buchholz in der „Feder“, der Vorgängerzeitschrift von M, in den 80erJahren) wurde überdeutlich, dass die Honorare für Freiberufler im Grunde sittenwidrig sein müssten.

Das waren Zeiten, als die Verlage noch nicht das Klagen über die eigenen schlechten Geschäfte zu ihrem Hauptkommunikationsziel erhoben hatten. Da hätte bei den Journalisten doch – nach der Annahme: wenn’s den Verlagen gut geht, geht es den Journalisten gut – was hängen bleiben müssen, oder? Ist es aber nicht. Nun lagen zwischen den 80er Jahren und heute einige Aufschwünge, z.B. der der New Economy, die den Verlagen traumhafte Gewinne bescherten. Wurden in der Zeit die Honorare erhöht? Selbstverständlich nicht. Aber jetzt, da alle Leute angeblich alles umsonst haben wollen und die Verlage mit Gesetzen vor dem bösen Internet geschützt werden müssen, springt ver.di auf diese Argumentation auf und hofft, das dann schon was vom Teller der Verlage für die Journalisten runterpurzeln wird. Offensive Interessenvertretung sieht anders aus.

“Erlössituation der Verwertungsunternehmen […] schwieriger geworden

Ach ja? Wie sieht’s denn z.B. bei Springer aus? „333,7 Mio. Euro Gewinn vor Steuern hat er (Döpfner) im Krisenjahr 2009 für seinen Konzern eingefahren – das Umsatzminus von 4,3 Prozent wirkt vergleichsweise harmlos. Zwei Gründe gibt’s, wieso die Berliner so sicher durch die schwere See schippern: Der extrem starke Schlepper „Bild“ und das immer besser laufende Web-Geschäft. Wo der Umsatz mit nationalen Zeitungen um 5 Prozent fällt und Print international gar um fast 24 Prozent einbricht, reißen’s die Digitalen Medien mit einem Plus von 24,4 Prozent wieder raus. Schon jetzt setzt Springer jeden fünften Euro online um, das operative Ergebnis dieser Sparte verdoppelte sich 2009 auf 43 Mio. Euro.“ (Quelle)

Tauschbörsen

Zum Kapitel Tauschbörsen kann man nur sagen, dass die Formulierungen in diesem Teil auch eins zu eins vom Bundesverband der Musikindustrie stammen könnten. Zu Recht wird darauf hingewiesen, dass in Tauschbörsen nichts getauscht wird, sondern Kopien angefertigt werden, oft (bei weitem nicht immer) ohne Einverständnis der Rechteinhaber. Aber schon im nächsten Absatz ist von „Diebstahl“ und „Schwarzhandel“ die Rede. Liebe Leute, schreibt es Euch an den Spiegel, oder an den Computermonitor oder sonst wo hin: Eine Kopie ist eine Kopie, weder Diebstahl noch Raub noch sonst irgendwas. Das ist keine Wortklauberei, sondern das Beharren auf diesen Analogien zeigt, dass die Verfasser eines solchen Papiers nichts zur Lösung dieses Problems beitragen wollen.

Denn eines sei bitte nie vergessen: Die Urheber, um die es hier angeblich immer geht, haben in den seltensten Fällen einen direkten Schaden davon, dass ihre Werke in einem Peer-to-peer-Netz (so der neutrale Ausdruck) angeboten werden. Sie haben alle Verwertungsrechte ohnehin an den Rechteverwerter (Musik-, Film-, Verlagsindustrie abgetreten).

Urheberpersönlichkeitsrecht

Auch der Hinweis auf das Urheberpersönlichkeitsrecht könnte so aus dem unsäglichen „Heidelberger Appell“ übernommen sein, in dem sich verirrte Autoren zum Büttel der Buchverlage machen und dafür eintreten, besser weiter alle Rechte gegen ein lausiges, in etlichen Fällen auch gar kein Honorar an die Verlage abtreten zu wollen (oder mittels Druckkostenzuschüssen sogar noch dafür bezahlen, dass sie diese Rechte abtreten dürfen), statt sich die neuen Vertriebsstrukturen des Netzes zu Nutzen zu machen. Wen diese Diskussion interessiert: Open Excess: Der Heidelberger Appell

Völlig berechtigt ist (wie gerade und weiter oben schon angemerkt) die Kritik an den so genannten Total-Buy-out-Verträgen, gegen die ver.di immer wieder (oft erfolgreich) gerichtlich vorgeht. Dafür herzlichen Dank.

Schulterklopfen ist jedoch leider nicht angemessen, wenn es um die so genannte „angemessene Vergütung“ geht. S. dazu die Stellungnahme des Interessenverbandes freier Journalisten, Freischreiber e.V., zu den gemeinsamen Vergütungsregeln für Tageszeitungen.

Wenn dann noch Wolfgang Schimmel in einem Interview darauf hinweist, dass es nahezu unmöglich sei, freiberufliche Journalisten von der Zahlung der Abgaben aus einem Leistungsschutzrecht zu befreien, dann kann man ihm zwar unterstellen, dass er das nicht gut findet, sondern nur Tatsachen benennt. Aber dann muss man sich fragen, wie ver.di für ein Leistungsschutzrecht sein kann, und zugleich vorgeben, dass man „die Interessen der abhängig und solo-selbstständig Erwerbstätigen“ vertritt (S. 5).

Sanktionen, Überwachung, Warnhinweise etc.

„ver.di hält es für angemessen, Nutzer/innen vorerst sanktionsfrei im Vorfeld möglicher illegaler Nutzungen durch Warnhinweise auf Seiten, die – auch – illegale Downloads anbieten, auf den Schutz des Urheberrechts und ihr potenzielles Fehlverhalten hinzuweisen.“ etc. pp.

Der Wolf im Schafspelz.

Menschen auf „potenzielles Fehlverhalten hinweisen“, aber „vorerst sanktionsfrei“, „anlassbezogene Kontrolle“, „legitimierte Institution“ – all das hört sich wahrscheinlich für die meisten erstmal nach einer angemessenen Reaktion an, alles in Ordnung, man will ja nicht gleich aggressiv werden, nur ein bisschen „warnen“. Und wie immer alles im Sinne der Urheber.

Das Problem: Damit das geht, muss eine Kontroll- und Überwachungsinfrastruktur aufgebaut werden, die einem Angst und Bange macht. Das ist keine Verschwörungstheorie, sondern kann an der Monate dauernden (und längst nicht abgeschlossenen) Diskussion um das Zugangserschwerungsgesetz verfolgt werden, besser bekannt als „Zensursula-Debatte“. Ich hoffe, es erinnern sich noch alle an die 134.000 Unterschriften unter der Petition gegen das Gesetz, das eine Infrastruktur vorsieht, die der gleicht, die benötigt würde, um die im Papier benannten Ziele zu erreichen.

Ich zitiere aus dem Tätigkeitsbericht des Bundesdatenschutzbeauftragten für die Jahre 2007 / 2008 (PDF):

Dennoch sind bereits neue Forderungen der Musik- und Filmindustrie im Raum. Nach dem Vorbild einiger EU-Staaten wie z. B. Frankreich (sog. Olivennes-Vereinbarung) stellt sie sich in Kooperation mit den Providern Modelle vor, die über ein abgestuftes Verfahren Urheberrechtsverstöße verhindern bzw. eindämmen sollen. Zunächst soll dabei der potentielle Verletzer ermittelt werden, indem die im Auftrag der Rechteinhaber erhobene IP-Adresse mit den Bestandsdaten beim Provider abgeglichen wird. Der so ermittelte potentielle Verletzer soll in einer Art Mahnverfahren einen Warnhinweis vom Provider erhalten. Begeht er trotzdem weitere Verstöße, so können Sanktionen vorgesehen werden. Diese sollen nach den Vorstellungen der Rechteinhaber von der vorübergehenden Sperrung des Anschlusses bis hin zur Kündigung des Vertrages und einer befristeten Vertragssperre reichen. Für diese Verwendung der Verkehrdaten für Mahnungen “auf Zuruf” der Rechteinhaber gibt es keine Rechtsgrundlage. Weder das TKG noch der o. g. zivilrechtliche Auskunftsanspruch in § 101 UrhG, der neben der richterlichen Anordnung offensichtliche Rechtsverletzungen in gewerblichem Ausmaß voraussetzt, erlaubt den Providern dieses Vorgehen zur Identifikation von Internet-Nutzern. Klärungsbedarf sehe ich auch für die Frage der Zulässigkeit der Ermittlung der IP-Adresse, die Voraussetzung für die Identifizierung der Nutzer ist. Diese erfolgt z. B. durch Spähdateien, die vorgeben, die Verknüpfung zu bestimmten vom Tauschbörsennutzer gesuchten Medien zu enthalten, in Wahrheit aber nur die IP-Adresse des Interessenten ermitteln. Ein Herunterladen z. B. von Musikstücken findet also tatsächlich nicht statt. Im anderen Fall werden Tauschbörsen anhand der Prüfsumme der urheberrechtlich geschützten Dateien abgesucht. Mit dem Rechner, der die gesuchten Dateien in seinem offenen Ordner vorhält, ist auch die jeweilige IP-Adresse ermittelt. Auch hier handelt es sich um die heimliche Erhebung der IP-Adressen von Tauschbörsenteilnehmern mit dem Ziel der anschließenden zweckfremden Verwendung dieser Daten.

Auch ich kann das legitime Interesse der Musik- und Filmindustrie, gegen Urheberrechtsverletzungen im Internet vorzugehen, durchaus nachvollziehen. Die Mittel müssen aber verhältnismäßig sein, den Interessen der Rechteinhaber und dem Schutz des Fernmeldegeheimnisses sowie sonstiger Verfassungsgüter also gleichermaßen Rechnung tragen.

Für iRights.info habe ich anlässlich der Verabschiedung des Papiers denn auch folgende Meldung geschrieben: Gewerkschaft Verdi fordert Netzüberwachung gegen Urheberrechtsverletzungen

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31 Comments so far ↓

  • Andrea Kamphuis

    Hallo Matthias,
    wie du ja weißt, habe ich die Vorgänge um dieses Positionspapier von Anfang an verfolgt bzw. durch wiederholtes Drängeln und Nachhaken zu seiner – nun ja – „Bekanntmachung“ im sog. Mitgliedernetz beigetragen.

    Illusionen über den Einfluss unserer ausführlichen Kommentare habe ich mir auch nicht gemacht – das Ganze war eher eine letzte Übung, die ich mir vor dem endgültigen Rückzug aus dieser Gewerkschaft auferlegt habe. Ich habe den Entwurf aus dem Frühsommer nun Satz für Satz mit der verabschiedeten Fassung verglichen und festgestellt, dass die Verfasser an einer intensiven Diskussion mit „ihren“ Mitgliedern tatsächlich kein Interesse haben.

    Die ver.di-Lernkurve ist mir entschieden zu flach, und zwar sowohl bei den Inhalten als auch in Sachen Kommunikationskultur. Das war’s jetzt mit mit und der Gewerkschaft. Schade.

  • Digitale Notizen » Blog Archive » ver.di und das Internet

    […] der Digitalisierung umgehen? Der Kollege Matthias Spielkamp hat in seiner dringend leseempfohlenen Antwort auf das Positionspapier des ver.di Bundesvorstands zum Thema Urheberrecht gezeigt, wie es nicht […]

  • mike

    wer ist der richtige Adressat um sich als Ver.di Mitglied dagegegen zu positionieren?
    Ich vermute wenn die Proteste an iner Stelle auftreffen wirkt es besser?

  • Matthias Spielkamp

    @Andrea Kamphuis: Ja, und ich war Dir sehr dankbar dafür, dass Du das Papier noch aus einer ganz anderen Perspektive kritisiert hast als ich. Ich ürde mich freuen, wenn Du Deine Anmerkungen jetzt auch noch öffentlich machen würdest.

    @Mike: Kann ich nicht sagen; das Papier ist vom Bundesvorstand verabschiedet worden, am besten direkt dorthin. Ich weiß ja sehr gut, dass auch viele andere Mitglieder und auch Funktionsträger überhaupt nicht einverstanden sind damit. Ihnen stärkt man natürlich den Rücken dadurch, dass man sich öffentlicht positioniert.

  • StefanMz

    Danke, ein wichtiger Beitrag!

  • Matthias Spielkamp

    @StefanMz: Habe gerade mit Interesse das Interview aus dem „Prager Frühling“ gelesen und will einen Absatz meinen Lesern hier nicht vorenthalten, in dem Du den Konflikt gut auf den Punkt bringst:

    „Die Gewerkschaften beispielsweise müssen ihre immanenten Klientelinteressen – oder sagen wir ruhig Klasseninteressen – verteidigen. Meine Gewerkschaft, ver.di, steht jetzt vor dem Widerspruch, ob sie die Position der Urheberrechtsextremisten einnehmen oder ob sie emanzipatorische Ansätze, die mit Creative Commons, also mit einer Liberalisierung, nicht Abschaffung des Urheberrechts, verbunden sind, unterstützen. Ich glaube, die Gewerkschaften sollten sich neue Formen der Absicherung der Beschäftigten in kreativen Berufen überlegen. Denn das Urheberrecht wird faktisch langsam zersetzt, einfach, weil es die Menschen in ihrem täglichen Handeln nicht mehr akzeptieren.“

    Ich weiß nicht, ob ich den letzten Satz unterschreiben würde, aber dass sich ver.di neue Strategien überlegen muss, statt mit den Verwertern den Schulterschluss zu üben, ist offensichtlich – ebenso offensichtlich wie die Tatsache, dass dort leider genau das Gegenteil getan wird.

  • Urheberrecht: Auch Gewerkschaft ver.di fordert Netzüberwachung

    […] Matthias Spielkamp hat sich noch einmal ausführlich und lesenswert auch in seinem privaten Blog mit dem ver.di-Positionspapier auseinandergesetzt: Zum Kapitel Tauschbörsen kann man nur sagen, dass die Formulierungen in diesem Teil auch eins […]

  • Tharben

    Mich erstaunt, wie man angesichts der immer wieder von Ver.di vorgetragenen Position, die in etwa die eines 72-jährigen Hausmeisters im Ruhestand entspricht, der vom Bundesverband der Musikindustrie zwei Stunden lang erklärt bekommen hat, was dieses digitale Teufelszeug ist, so – wenn auch im lockeren Ton – vergleichsweise sachlich bleiben kann.

    Meinen Respekt, Matthias Spielkamp. Ihre Engelsgeduld bewundere ich.

  • KollegInnen, macht die Augen auf! – Der Schockwellenreiter

    […] Matthias Spielkamp über das ver.di-Positionspapier zum Urheberrecht (wir berichteten): Der Verdi-Bundesvorstand hat das Positionspapier »Internet und Digitalisierung – Herausforderungen für die Zukunft des Urheberrechts« verabschiedet. Das Papier strotzt vor Unkenntnis und analytischen Kurzschlüssen (vom schlechtem Stil zu schweigen). Die die Herausforderungen der Zukunft an das Urheberrecht wird Verdi mit den darin vertretenen Positionen jedenfalls nicht bestehen. […]

  • Andi

    Inhaltlich ist glaube ich nichts hinzuzufügen, aber eine rein oberflächliche Bemerkung brennt mir doch auf der Tastatur: Für jemanden, der anderen schlechten Stil vorwirft, enthält der Text erstaunlich viele sprachliche Fehler (z.B. vergessene Wörter wie bei „Stil [ganz] zu schweigen“, „drei oder [vier?] KollegInnen“ allein in den ersten beiden Absätzen). Just sayin‘.

  • Der Ruhrpilot | Ruhrbarone

    […] Verdi: Zum Verdi-Positionspapier zum Urheberrecht…Immateri […]

  • Jan

    Hallo Matthias und alle anderen,

    vielen Dank für diesen klugen Kommentar, der mir in allen Punkten aus der Seele spricht.

    Eine Art offenen Brief, ähnlich gut formuliert und von möglicht vielen Kolleginnen und Kollegen unterzeichnet, an den Bundesvorstand, fände ich sehr, sehr gut.

    Neben den bisher genannten Punkten irritiert mich übrigens der in dem Papier gemachte Unterschied zwischen „seriösen Filesharing“- Diensten und „illegalen Tauschbörsen“.
    Ich weiß, das die selben Dienste, die ich in meiner alltäglichen Arbeit zum Verschicken großer Dateien brauche, auch zum Verbreiten urheberrechtlich geschützten Materials verwendet werden (s. Rapidshare etc.)
    Sollte dieses alltägliche Arbeitsmittel unter Mithilfe meiner Gewerkschaft in eine anrüchige Ecke gestellt werden, fände ich das nicht gut.

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  • Lesezeichen vom 29.10.2010 bis 1.11.2010 | Florian Altherr

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  • Kurz gefragt: Wie ist das mit der Umsonstmentalität? | unlesbar.de

    […] vermisst zu werden, wenn man weg ist, ist kein Geschäftsmodell.” Links zu diesem Bericht: » imateriblog.de: Zum Verdi Positionspapier Dieser Beitrag wurde unter Allgemein abgelegt und mit Umsonstmentalität verschlagwortet. Setze […]

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  • Andrea Kamphuis

    Reaktion von ver.di auf die Kritik am Papier:

    „Der Einwand, damit wachse die Gefahr, dass eine Kontrollinfrastruktur errichtet werden könne, die sich missbrauchen ließe, geht ins Leere, weil auch ver.di einen solchen Missbrauch strikt ablehnt und dies auch ausgeschlossen werden soll.“

    Ach so. Na dann!

    @Matthias: Ich habe derzeit kein Blog oder Forum, um meine Kritik vom Juli öffentlich zu dokumentieren. Aber vielleicht ist das jetzt der richtige Anlass, wieder mit dem Bloggen anzufangen. 🙂

  • vera

    – und bitte entschuldige, daß ich nicht zumindest für Deine wunderbare Analyse und Kritik ‚danke‘ gesagt habe. Verlinkung ist eine Sache, persönlich in Kontakt zu bleiben eine andere. [Eben.]

  • Rainer Bode

    Werte Verdi-KollegInnen,
    als langjähriges Mitglied (IG Metall, ÖTV und jetzt verdi mit dem Anspruch bald einer Plakette für 30 jährige Mitgliedschaft zu bekommen) mutet ihr einem immer viel zu. Ob in der Atomkraftdebatte (früher), bei der Kohledebatte und diverses anderen Dingen kommt man immer wieder zur Überlegenheit: Geh raus aus diesem Verein.
    Aber das ist etwas unpolitisch und zu einfach.
    Jetzt habt ihr ein Papier fabriziert, das von vielen schon kritisiert wurde und im Netz heftig diskutiert wird. Wenn es kontrovers diskutiert wird, kann man sagen, ist es gut (siehe Signatur weiter unten). Aber warum muß man denn alte, schon abgebrannte Argumentationen wie Netzsperren und konsequeten Verfolgung der Tauschbörsen wieder ins Spiel bringen? Seid ihr nicht mehr auf der Höhe der Diskussion? Die Netzsperren wurden vor Monaten schon von den meisten Parteien beiseite gelegt. Und ihr zieht sie wieder raus?
    Warum? Gibt es Gründe?
    Also nehmt euch am besten das Papier, führt die offene Diskussion und überarbeitet es.
    Gruß

  • Immateriblog.de - Matthias Spielkamp über Immaterialgüter in der digitalen Welt

    […] ist sehr interessant. Wie ich am 30. Oktober berichtet habe (KollegInnen, macht die Augen auf! Zum Verdi-Positionspapier zum Urheberrecht), hatte ich das Positionspapier (das damals noch ein Diskussionspapier war) am 27. August im […]

  • Immateriblog.de - Matthias Spielkamp über Immaterialgüter in der digitalen Welt

    […] natürlich hervorragend zur Debatte um das ver.di-Postionspapier, in dem ähnliches vorgeschlagen wird. Tweet This Post  Diesen Beitrag […]

  • Verwaiste Werke in die Gemeinfreiheit! — keimform.de

    […] diesen Plan unterstützen scheint absurd, es ist aber so. Auch von den Gewerkschaften ist keine andere Position zu […]

  • Immateriblog.de - Matthias Spielkamp über Immaterialgüter in der digitalen Welt

    […] KollegInnen, macht die Augen auf! Zum Verdi-Positionspapier zum Urheberrecht […]

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    […] Sie ist “hausöffentlich”, was bedeutet: nur für Mitglieder. Es wird um das Positionspapier Internet und Digitalisierung – Herausforderungen für die Zukunft des Urheberrechts des Verdi-Bundesvorstands […]

  • Immateriblog.de - Matthias Spielkamp über Immaterialgüter in der digitalen Welt

    […] Entwurf selbst hatten ich und andere Verdi-Mitglieder aus verschiedenen Gründen kritisiert; bemängelt haben wir außerdem […]

  • LabourNet Germany: Treffpunkt für Ungehorsame, mit und ohne Job, basisnah, gesellschaftskritisch » Urheberrecht und ver.di

    […] KollegInnen, macht die Augen auf! Zum Verdi-Positionspapier zum Urheberrecht „Der Verdi-Bundesvorstand hat das Positionspapier “Internet und Digitalisierung – Herausforderungen für die Zukunft des Urheberrechts” verabschiedet. Das Papier strotzt vor Unkenntnis und analytischen Kurzschlüssen (vom schlechtem Stil zu schweigen). Die die Herausforderungen der Zukunft an das Urheberrecht wird Verdi mit den darin vertretenen Positionen jedenfalls nicht bestehen…“ Beitrag von Matthias Spielkamp auf seinem Blog immateriblog.de vom 30.10.2010 […]

  • Sabine

    Nach nunmehr drei Jahren gibt es zum Thema Urheberrecht immer noch viele Unklarheiten und noch mehr Handlungsbedarf. Ich bin mir sicher, dass niemand so genau sagen kann, wie der aktuelle Stand der Dinge ist. Gibt es mittlerweile eigentlich ein neues Positionspapier von ver.di? Es wäre doch interessant, wie sich die Gewerkschaft zur aktuellen Lage äußert. Ich würde mich über entsprechende Links freuen.

  • Matthias Spielkamp

    @Sabine: Mir ist nichts bekannt.