Lieber Herr Michalk,
vor einiger Zeit schon haben wir uns bei einer Konferenz kennen gelernt, bei der ich auf dem Podium saß und mich zum Verhalten der Kulturindustrie im Allgemeinen und der Musikindustrie im Besonderen äußern durfte. Ich habe mich darüber echauffiert, wie manipulativ die Lobbyisten der Verwertungsindustrie mit Zahlen umgehen, wenn es darum geht zu zeigen, wie sehr ihr Urheberrechtsverletzungen zu schaffen machen (gern als „Piraterie“ oder „Raubkopien“ bezeichnet, um zu suggerieren, dass es sich um ein verabscheuungswürdiges Verbrechen handelt, bei dem Menschen Gewalt angetan wird; gern kommt an der Stelle auch der Versuch, Urheberrechtsverletzungen mit organisierter Gewaltkriminalität oder gar Terrorismus [1] zu verknüpfen).
Mein Beispiel: 200 – 250 Milliarden US-Dollar Einnahmen sollen den Rechteinhabern (nicht den Urhebern!) durch Verletzungen von Immaterialgüterrechten verloren gehen, 750.000 Jobs seien gefährdet (Arbeitsplätze!). Das Problem an den Zahlen ist nicht allein, dass überhaupt nicht klar ist, worauf sie sich beziehen. Gehen diese Jobs und diese Einnahmen pro Jahr verloren? Oder kumulativ? Über welchen Zeitraum? Vielmehr ist es so, dass es bislang völlig unklar war, wie die Zahlen zustande gekommen sind. Woher stammen sie? Wer hat sie erhoben? Mit welcher Methode?
Zum Glück gibt es Blogs, denn irgendwer muss ja „Qualitätsjournalismus“ liefern, wenn es die selbst ernannten „Qualitätsmedien“ nicht tun.[2] Daher können wir beide doch den Machern von Ars Technica dankbar sein, die für einen wunderbaren Beitrag mit dem Titel 750,000 lost jobs? The dodgy digits behind the war on piracy aufwändig recherchiert haben, was denn dran ist an den Zahlen (super übrigens der Untertitel: „A 20-year game of Telephone“, auf Deutsch: 20 Jahre stille Post). Die Antwort: nichts ist dran an den Zahlen. Gar nichts. Ausgedacht, weitererzählt, zitiert, dann wieder zitiert, dann nochmal zitiert, und schon hat man Quelle über Quelle, auf die man sich berufen kann – völlig unabhängig davon, dass es nie eine belastbare Aussage gab. Praktisch, nicht wahr?
Sie waren mit meinen Einlassungen nicht einverstanden und haben mir während der Konferenz in Ihrer freundlichen Art (keine Ironie – ich finde Sie sehr sympathisch!) gesagt, dass wir uns doch unbedingt mal zusammensetzen sollten um darüber zu reden, woher denn die Zahlen kommen, mit denen argumentiert werde. Sicher, habe ich gesagt, daran habe ich großes Interesse. Und Ihnen den Link zum Artikel von Ars Technica geschickt, den Sie aber nie kommentiert haben.
Ebenfalls großes Interesse hatte ich kurz nach der Konferenz am Artikel eines Kollegen des Guardian (Illegal downloads and dodgy figures), der die Zahlenspiele nicht der Urheberrechtsindustrie im Ganzen, sondern der Musikindustrie unter die Lupe genommen hat. Sein Fazit: „As far as I’m concerned, everything from this industry is false, until proven otherwise.“ Er ist übrigens Wissenschafts-, nicht Musikjournalist, und der Guardian macht das, was die deutschen Verleger nicht hinbekommen: Geld im Internet verdienen – mit gutem Journalismus!
Es hat noch mehr als ein halbes Jahr gedauert, bis es zu unserem Treffen gekommen ist, nicht ganz unpassend im Einstein unter den Linden, wo sich Lobbyisten und Journalisten eben treffen.[3] Wir haben dann kaum über Zahlen geredet (zum Glück, denn darauf wäre ich nicht vorbereitet gewesen. Aber ich glaube, Sie auch nicht). Es ging eher darum, wie es in Zukunft weitergehen kann mit dem Internet und der Digitalisierung, was die Aufgabe der Verwerter sein kann und wovon Kreative leben sollen. Es war ein angenehmes Gespräch, und ich habe Sie als klugen und differenzierten Beobachter der Entwicklungen empfunden. Dass wir bei den meisten Themen nicht einer Meinung waren, hat mich nicht überrascht (und Sie bestimmt auch nicht), aber wir sind ja erwachsene Menschen und können damit leben, dass es unterschiedliche Auffassungen davon gibt, was gut und schlecht und richtig und fasch ist in dieser Welt.
Kürzlich habe ich dann in meinem Posteingang eine eMail mit folgendem Bestreff gefunden: „[BVMI Pressemitteilung] Bundesverband Musikindustrie veröffentlicht Positionspapier zur Kulturflatrate“. Die Mail ist recht lang, so dass ich sie erstmal ungelesen wieder zugemacht habe und erst jetzt (im Urlaub! Ja, bin ich denn verrückt…) dazu komme, sie zu lesen. Und was lese ich da?
Der Bundesverband Musikindustrie (BVMI) hat ein Positionspapier mit zehn Argumenten gegen die Kulturflatrate veröffentlicht. „Bei Diskussionen um das Urheberrecht in der digitalen Welt fällt immer wieder das Schlagwort von der Kulturflatrate, obwohl eigentlich niemand genau weiß, was damit genau gemeint ist“, so Stefan Michalk, BVMI-Geschäftsführer. „Was von den Befürwortern als Lösung aller Probleme gesehen wird, wäre letztlich nichts anderes als die Kapitulation der Politik vor der Komplexität des Urheberrechts in der digitalen Welt“, so Michalk weiter.
So weit, so wenig überraschend. In zehn Thesen („Argumente“ genannt) wird dann erläutert, warum die Kulturflatrate eben genau diese Kapitulation der Politik vor der Komplexität des Urheberrechts in der digitalen Welt wäre. Was davon zu halten ist, wird inzwischen sicherlich heiß diskutiert, da Qualitätsblogger Simon Columbus die Thesen bei netzpolitik.org zur Diskussion gestellt hat – eine der tollen Möglichkeiten, die dieses Mitmachwebdings bietet, von dem man jetzt immer so viel in der Zeitung liest. Und überhaupt ist ja schon so wahnsinnig viel geschrieben und untersucht worden zur Kulturflatrate [4], dass Sie jetzt nicht befürchten müssen, ich erzähle Ihnen das alles, um Sie davon zu überzeugen, dass sie eine tolle Idee ist. Denn auch wenn ich das alles gelesen habe (haben Sie?), bin ich nicht überzeugt davon, dass sie eine gute Idee ist. Aber darum geht’s auch gar nicht.
Denn ich bin ohnehin nur bis zu Punkt 3 gekommen. Dann musste ich an unser Gespräch denken und wurde auf einmal ganz abgelenkt. Da steht:
3. Die Kulturflatrate führt zu einer unverhältnismäßig hohen Belastung aller Konsumenten und benachteiligt sozial Schwache. Mit fortschreitender Digitalisierung und zunehmendem Ausbau der Bandbreiten sind immer mehr Bereiche der Kultur- und Kreativwirtschaft vom unrechtmäßigen Gebrauch ihrer Produkte betroffen. Eine Kulturflatrate müsste mittelfristig nicht nur Musik, Filme oder Bücher erfassen, sondern würde alle Bereiche der Kultur- und Kreativwirtschaft betreffen. Nach Schätzungen der Bundesjustizministerin kämen auf jeden Verbraucher mit Internetanschluss zusätzliche Kosten in Höhe von 50 Euro pro Monat zu. Gerade sozial Schwache können sich das nicht leisten.
Schätzungen der Bundesjustizministerin? Das ist ja interessant. Können Sie mir dafür bitte eine Quelle nennen? Sie meinen doch bestimmt nicht die Interviews, in denen die ehemalige Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (da war doch was im vergangen September…) sagte, dass die Kosten für jeden Einzelnen bei 50 Euro im Monat liegen könnten, oder? Weil: Wenn Sie das meinen, dann muss ich Ihnen leider mitteilen, dass da ein Missverständnis vorliegt.
Denn Frau Zypries hat einfach mal irgendwelche Zahlen genommen, die von den Befürwortern der Kulturflatrate ins Spiel gebracht wurden (von der Sie ja der Ansicht sind, dass „eigentlich niemand genau weiß, was damit genau gemeint ist“ (genau!), so dass die genauen Zahlen ja auch Ihrer Ansicht nach nicht so richtig genau sein können, oder täusche ich mich?), und hat sie dann offenbar mit einem Faktor zwischen 5 und 10 multipliziert. Wie sie darauf gekommen ist, hat sie nicht verraten, aber wenigstens hat sie dann recht schnell zurück gerudert – und gar keine Zahlen mehr genannt. Nachzulesen in einem Interview, das mein Kollege Kai Schächtele und ich mit ihr für das Freelens-Magazin geführt haben:
Wir zahlen in Deutschland sowieso schon knapp 20 Euro im Monat für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Und wenn wir jetzt noch die Flatrate oben drauf setzen, sind wir schnell bei deutlich höheren Beträgen, die jeder zahlen müsste, um überhaupt an Informationen zu kommen. Das wirft in einem sozialen Rechtsstaat zahlreiche Probleme auf, schon wegen unserer Verfassung und wegen des Rechts auf freien Zugang zu Informationen. Das muss auch für sozial Schwächere gewährleistet bleiben.
Da konnte sie sich wohl nicht einmal mehr zu einem „50 Euro inklusive Rundfunkgebühr“ durchringen, denn ihre Zahlen waren wohl etwas vage.
Nicht zu vage allerdings, um nicht von Ihnen acht Monate später als „Schätzungen der Bundesjustizministerin“ verkauft zu werden. Denn das hört sich so schön autoritativ an. Die Bundesjustizministerin. Hat geschätzt. Ist zwar nur die Ex-. Und ob das tatsächlich „schät|zen <sw. V.; hat> [mhd. schetzen]: 1. a) (ohne exaktes Messen nur auf Erfahrung gestützt) näherungsweise bestimmen“ (Duden) war, was Frau Zypries da gemacht hat, darüber kann man sich sicher vortrefflich streiten. Die meisten von uns würden das wohl eher „spekulieren“ oder „mutmaßen“ nennen, oder sogar „mal eben so daherplappern, weil man was gefragt wird, aber eigentlich gar keine Ahnung hat“, aber so haben wir eben alle unsere eigene Sicht der Dinge.
Mich machen solche Tricks ja misstrauisch. Als Journalist hat man irgendwann gelernt (sollte es zumindest gelernt haben): Namen und Zahlen müssen stimmen. Wenn sie nicht stimmen, verspielt man die Glaubwürdigkeit des gesamten Artikels. Und irgendwann natürlich auch die Glaubwürdigkeit der gesamten Institution, sei das der Journalist, der Verlag oder der Verband. Aber dafür muss natürlich jemand drauf kommen, dass etwas nicht stimmt.
Sehen wir es als Experiment und beobachten, welche Karriere die „Schätzungen der Bundesjustizministerin“ nun weiter in den Medien machen werden. Ich bin nicht sehr optimistisch. Heißt: es wird weiter abgeschrieben werden, dann abgeschrieben, und dann wieder abgeschrieben. Und irgendwann werden einige wie sebstverständlich davon ausgehen, dass die Flatrate jeden einzelnen Bürger 50 Euro im Monat kosten wird, und dass der Bundesverband Musikindustrie sich auf die Fahnen geschrieben hat, für die sozial Schwachen in unserer Gesellschaft einzutreten. (Also gut: Den letzten Teil glaube ich nicht ernsthaft; so pessimistisch kann ich nicht mal sein, wenn ich mich bemühe.)
Aber wenigstens habe ich meinen Teil nun dazu beigetragen, dass es dazu nicht kommt. Und schließe mich dem Kollegen des Guardian an: Ich gehe (weiterhin) davon aus, dass alles, was von dieser Industrie kommt, als falsch betrachtet werden muss, bis das Gegenteil bewiesen ist.
Mit freundlichen Grüßen, Matthias Spielkamp
[1] As a result of this expansive approach, counterfeiting and piracy, which are often associated to the operation of criminal networks, are confused with other infringements of IPRs where no criminal behavior exists, such as in cases of the non-attributed quotation of a copyrighted work, the downloading of a piece of music from an Internet site, or the infringement of a patent by a competitor. Such an approach improperly equates any IP infringement with crime and elevates IP enforcement to the category of a vital tool against crime and even terrorism. Carsten Fink: Enforcing Intellectual Property Rights: an Economic Perspective, in: The Global Debate on the Enforcement of Intellectual Property Rights and Developing Countries, International Centre for Trade and Sustainable Development Issue Paper No. 22, Genf, Februar 2009 [PDF, 270 kb]
[2] Früher nannte man das Recherche, Vier-Augen-Prinzip und Korrektorat, aber dafür gibt’s bei Springer und Konsorten, die nach einem Leistungsschutzrecht rufen, kein Geld mehr. Oder wie ist es zu erklären, dass das „Qualitätsblatt“ Die Welt als einzige Publikation nicht imstande war, das gedruckte Program (oder das im Internet) zu lesen, oder mal schnell beim Google-Teufel nachzuschauen, um Eva-Maria Schnurrs Namen richtig zu schreiben, die an der – welche Ironie! – Diskussion ums Leistungsschutzrecht mit Springer-Vertreter Keese teilgenommen hat? Ein Fehler, der bis heute nicht korrigiert ist. Alle Blogs konnten das besser. Aber das ist nur eine Fußnote, denn für die Stümpereien meiner Kollegen können Sie ja nichts.
[3] Ich habe mein Frühstück selbst bezahlt.
[4] Der Artikel The World Is Going Flat(-Rate) von Volker Grassmuck bei Intellectual Property Watch fasst die Diskussion zusammen und bietet Links zu beinahe allen relevanten weiterführenden Texten.
wenn ich mal von der netzpolitik hier rüberstalken darf:
ebenfalls nicht besonders seriös und diskussionsförderlich sind süffisante einwürfe wie „eine der tollen Möglichkeiten, die dieses Mitmachwebdings bietet, von dem man jetzt immer so viel in der Zeitung liest“ (internetversteher sind so 2004!), und ganz besonders schwach ist es, sich aus den 10 punkten nur einen rauszupicken und dann mittels eines repräsentativen angriffs auf diesen einen punkt eine wertlosigkeit der ganzen liste zu suggerieren („weiter als punkt 3 bin ich gar nicht gekommen“ – is klar!).
man setze sich doch bitte mal mit punkt 10 auseinander. das wäre mal aufrichtig, ergebnisorientiert und spannend. alles andere ist selbstverliebtes geplänkel und rechthaberei (auf beiden seiten).
Digitale Notizen » Blog Archive » Offener Brief an die Musikindustrie // Jan 28, 2010 at 12:16 pm
[…] Spielkamp schreibt einen Offenen Brief an Stefan Michalk, Geschäftsführer des Bundesverbands Musikindustrie, in dem er zu dem obigen […]
Hallo Derek, wie seriös ist es, einen Satz mit neun Fragen zu formulieren, die alle seit Jahren diskutiert werden, und so zu tun, als gäbe es keine Antworten darauf?
Hast Du Dir denn den zitierten Artikel von Grassmuck durchgelesen und Dich damit beschäftigt? Ich habe es, und nicht nur das, sondern auch mit vielen der Beiträge, auf die er verweist, und das seit Jahren. Schon William Fisher macht in seinem Buch „Promises to keep“ von 2003 (das ist sieben Jahre her!) sehr viele Vorschläge dazu, wie diese Fragen beantwortet werden können. Seitdem ist die Zeit nicht stehen geblieben.
Was erwartest Du von mir? Dass ich das alles *noch einmal* referiere und analysiere und mich daran abarbeite, weil sich ein Lobbyverband, der naturgemäß kein Interesse an verständigungsorientiertem, sondern nur strategischem Handeln (in diesem Fall Kommunizieren) hat, so tut, als gäbe es keine sinnvolle Auseinandersetzung dazu?
Es tut mir leid, aber wenn Dein Einwurf ernst gemeint ist, dann ist er naiv.
Immateriblog.de - Matthias Spielkamp über Immaterialgüter in der digitalen Welt // Jan 28, 2010 at 1:33 pm
[…] Lieber Herr Michalk! (Ein offener Brief an den Geschäftsführer des Bundesverbands Musikindustrie, … […]
es sind nicht neun, sondern es sind zehn, und unter dem offenbar ja regelrecht gefürchteten punkt zehn wird ja nochmal ein ganzer fragenkatalog aufgelistet, darunter mehrere fragen die letztlich ein unlösbares dilemma beschreiben. etwa die frage, wie für verteilungsgerechtigkeit und hinreichende betrugssicherheit gesorgt werden soll, ohne gleichzeitig ein echtes überwachungsmonster aus der taufe zu heben mit dem man alle bemühungen zum datenschutz der letzten 20 jahre direkt in die tonne kloppen kann.
antworten hierauf sind mir nicht bekannt.
ich habe in den letzten jahren extrem viel zu diesem thema gelesen, aber auf die unter punkt zehn gelisteten fragen habe ich bisher nur vorschläge gehört, die schon bei kürzestem weiterspinnen sich als nicht zuendegedacht erweisen. was wunder auch, handelt es sich letztlich mehr oder weniger um das ei des kolumbus des digitalen zeitalters 😉 ich gehe schon davon aus dass, sobald das jemand findet, sich das etwas besser rumsprechen würde…
da mit den jahren auch die geduld nachlässt wäre ich dir dankbar, wenn du zumindest kurz anreissen kannst was die zündende idee im von dir verlinkten artikel ist. wenn du soviel zeit hast um einen halben artikel lang olle ressentiments zu bedienen, dann wirst du sicherlich auch die zeit haben sowas bahnbrechendes wie die entdeckung des ei des kolumbus zumindest in ein paar kurzen sätzen zu umschreiben.
oder erzähl doch mal ein beispiel, was william fisher für tolle vorschläge gemacht hat, einfach mal den lösungsansatz den du am überzeugendsten fandest. wär doch schön drüber zu diskutieren, mein problem ist ja nicht, dass ich mich nicht überzeugen lassen wollen würde, sondern mein problem ist dass immer alle bei erwähnung dieser punkte wegrennen.
Derek, es sind neun Fragen unter Punkt 10. Hier ist Fishers Aufsatz: http://www.tfisher.org/PTK.htm, Kapitel 6. Ich bin im Urlaub, s. hier: http://immateriblog.de/in-eigener-sache/ich-bin-dann-mal-weg/
Linkdump for 28. Januar 2010 Links synapsenschnappsen // Jan 29, 2010 at 8:05 am
[…] Immateriblog.de – Lieber Herr Michalk! (Ein offener Brief an den Geschäftsführer des… – (Tags: Kulturflatrate Lobbying Musikindustrie Journalismus ) […]
“Frau Zypries hat einfach irgendwelche Zahlen genommen, die von den Befürwortern der Kulturflatrate ins Spiel gebracht worden waren.”
Das klingt etwas missverständlich. Diese Zahlen wurden gegen die Befürworter der Kulturflatrate ins Spiel gebracht – die 50 Euro sollten abschrecken.
Extending Private Copying Levies: Approaching a Culture Flat-rate? « // Jan 30, 2010 at 1:02 am
[…] not mean that there are no feasible answers available for them (see, for example, Grassmuck 2009; via). And while a culture flat-rate could indeed harm new digital business models (#2), this is […]
Tweets die Immateriblog.de - Matthias Spielkamp über Immaterialgüter in der digitalen Welt erwähnt -- Topsy.com // Jan 30, 2010 at 3:19 am
[…] Dieser Eintrag wurde auf Twitter von wetterfrosch, Doerte, Thorstena, Tobias Barth, mBloging Tester und anderen erwähnt. mBloging Tester sagte: RT @bibliothekarin: RT @thorstena_bln: RT @spielkamp Offener Brief an die Musikindustrie, extended version: http://bit.ly/9sF3y6 […]
so, nach dem lesen von ca. 30 seiten beschreibung des status quo taucht in dem verlinkten artikel zum ersten mal ein konkreter ansatz auf, wie man gelder erfolgsbezogen verteilen könnte ohne dabei gross und breit überwachen zu müssen:
ein system angelehnt an nielsen ratings.
nächstes mal fände ich es der diskussionskultur förderlich, wenn nicht pauschal auf riesigen textberge verlinkt wird bei der man sich das für die diskussion relevante erst rauslesen muss, sondern man vielleicht einfach mal das stichwort „nielsen ratings“ in den raum stellt. hätte ja völlig gereicht…
also, nielsen ratings. probleme mit diesem vorschlag sind folgende:
– die frage nach der grossen überwachung wird beantwortet mit „überwachung, einfach nur nicht ganz so gross“
(aber, echter pluspunkt, immerhin freiwillig)
dabei sehe ich ein sehr grosses problem: das system wird als letztlich etwas ungenau, aber unterm strich über die jahrzehnte halbwegs tauglich beschrieben, und das mag auch richtig sein.
nur: es mag ja tauglich sein, um einen stapel fernsehkanäle (oder von mir aus auch 600 fernsehkanäle) zu erfassen. aber den kompletten musikkatalog der welt? da fallen ja allein aufgrund der grösse der stichproben zwangsläufig über 90% durchs raster. wir reden hier nicht von 50 kanälen, nicht von 600 kanälen, sondern von millionen von songs. das in kombination mit dem weiterhin überhaupt nicht gegebenen schutz gegen missbrauch führt doch dann zu einer situation, wo bisweilen mal aus reiner „messungenauigkeit“ sagen wir mal ein künstler mit extrem grossen, breit gestreuten back katalog (je länger die karriere, desto höher der streuungseffekt) gar nichts bekommt, hingegen jemand mit nur einem song, der ein paar freunde hat die in den (und seis nur turnusweise) erfassten haushalten leben überproportional viel, selbst wenn man alle denkbaren beschränkungen dazudenkt a la maximal 3plays am tag oder sonstwas…was ja in sich bereits eigentlich auch wieder absurd ist, weil ja leute durchaus sehr oft ihren lieblingssong besonders oft hören.
das finde ich eine ziemliche heftige „messungenauigkeit“, die mit keinem wort erwähnt wird. ich hab noch einige seiten weiter gesucht ob irgendwo auf diesen „kleinen“ schönheitsfehler eingegangen wird, nach einigen seiten hab ich dann die geduld verloren. wenn du hierzu argumente weisst wäre ich dankbar wenn du sie kurz andeutest, ein satz genügt.
wenn aber der aspekt der überwachung aus sicht der KFR-befürworter in ordnung ist, wenn sie denn nur freiwillig geschieht, dann würde ich hier gerne mal ein modell der MI entgegensetzen, dass zwar auch noch bei weitem nicht perfekt ist, m.m.n. aber das potentiel hätte, in eine richtung entwickelt zu werden die eigentlich sämtliche formulierten vorteile des artikels erfüllt, dabei aber nahezu jeden nachteil umgeht:
als basis nehmen wir das „comes with music“ flatratemodell von nokia. zahl monatsbeitrag X als teil deines mobilfunkvertrags, dafür ist dein handy ein mp3player mit unbeschränktem zugriff auf den gesamten musikkatalog. ich versuch das kurz zu halten, ich hab mir da schonmal bei nerdcore nen wolf formuliert um danach festzustellen, dass die bereitschaft, über ein modell „von der bösen industrie“ zu diskutieren bei vielen wohl allein aus ideologischen gründen flachfällt…
comes with music hat einen grossen nachteil: man hat zugriff auf den gesamten katalog, aber nur solange die flatrate läuft.
um diesen nachteil wegzubekommen müsste man sich vorstellen, dass derlei flatrates zum standard würden, man also üblicherweise beim handy stets eine (unbedingt sehr niedrige!) flatrate bezahlt unabhängig vom provider und somit der gedanke, musik überhaupt erst horten zu müssen langfristig komplett entfällt.
vorteile:
– der ort ist der richtige. das handy ist der musikplayer der zukunft.
– technisch optimal: sowohl streaming als auch storage ist möglich, datenverbindung bei der nächsten handygeneration praktisch immer gegeben
– und hier kommt die m.m.n. bessere version der „überwachung“: nokia könnte jeden user in den AGBs ihres handymediaplayers um das einverständnis bitten, den musikkonsum mitzuzählen, und zwar einzig zum zwecke der entlohnung der künstler.
wie im von dir verlinkten artikel schon erwähnt würden das viele leute sicherlich gerne machen, da man ja damit den lieblingskünstler unterstützt. obendrein könnte man durch nutzung eines anderen mediaplayer als den von nokia mitgelieferten auch jederzeit auf knopfdruck doch wieder „privatsphäre“ haben, wenn man will, und im nächsten moment wieder zurückwechseln zum „offiziellen konsum“.
– ein weiterer vorteil ist, dass die flatrate (die in der von mir hier grad formulierten utopie ausgesprochen niedrig sein könnte) quasi im tarifchaos des handyvertrags „ersäuft“. aktiv eine flatrate buchen ist eine sache, aber beim handyvertragsabschluss zu sagen „neben dem SMS paket mit 100 messages im moment für sagenhaft günstige 12,50 euro erhalten sie für weitere 5 euro im monat noch komplett legalen zugriff auf die gesamte musikbibliothek mit millionen von titeln inklusive sämtlichen neuerscheinungen“ ist denke ich eine deutlich niedrigere hemmschwelle.
jetzt machen wir einen kleinen sprung und malen uns aus, nokia hätte jetzt ein grosses netz an kunden die das machen, und würde absolut präzise und vollautomatisiert erfassen welche songs genau konsumiert wurden. das aufteilen der einnahmen wäre in diesem fall schlichte mathematik, das ganze käme nur mit einem winzigen bruchteil des bei der KFR nötigen verwaltungsaufwands aus.
und dann denken wir noch eins grösser und nehmen an, dass JEDER provider und hersteller solche modelle unterhält, bis dem kunden egal sein kann wo er seine musik herbezieht, ob das nun grad aus dem samsung-, apple- oder sonstwas-portal ist. damit würde auch der „ich verliere meine songs wenn ich keine flatrate mehr habe“-aspekt entfallen, man würde sich einfach daran gewöhnen dass jedes handy stets zugriff auf die komplette weltbibliothek an musik hätte. star trek in reinform 😉 dazu denken wir uns noch eine standardisierte schnittstelle mit der das handy zuhause im dock und im auto und sonstwo direkt auf die speaker läuft (also irgendein herstellerübergreifender standard irgendwo zwischen ipod-dock und stereo bluetooth) – maximaler luxus und maximale einfachheit für den konsumenten.
und das ganze funktioniert ohne die gigantischen ströme an staatlich verordneter umverteilung, ohne die sonst notwendigen riesigen (und filzanfälligen) verwaltungs- und verteilungsapparate. und es könnte mittelfristig obendrein sämtliche plattenlabels zumindest in ihrer rolle als vertrieb ersetzen – wenn nämlich jeder künstler einfach seine werke direkt in diese kataloge einspeisen könnte und automatisch die entsprechende vergütung erhalten würde.
so könnten auch kleine künstler ihre kleinen brötchen backen, ein aspekt der bei einem nielsen-basierten modell komplett wegfallen würde (was doch wohl niemand wollen kann).
und es würde weiterhin konkurrenzkampf zwischen den verschiedenen providern herrschen, was wie die erfahrung zeigt für das langfristige erhalten niedriger preise absolut essentiell ist.
und als wärs nicht genug, entfallen noch sämtliche ungerechtigkeiten auf der anderen seite und es zahlen nur diejenigen, die auch wirklich musik konsumieren, und nicht wie bei den KFR-modellen von steuer bis providerzuschlag pauschal einfach alle.
aus meiner sicht wäre so ein „industriegesteuertes“ modell in nahezu jeder hinsicht besser, präziser, gerechter, und obendrein deutlich einfacher erreichbar – fundamentale politische und gesellschaftliche umbrüche nicht nötig, vielen dank. und den künstlern wird keine halbkommunistische blase inmitten einer ansonsten unverändert kapitalistischen welt über den kopf gestülpt, sondern es gibt einfache spielregeln und die bewährten angebot und nachfrage mechanismen.
meinung dazu?