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Matthias Spielkamp über Immaterialgüter in der digitalen Welt

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Öffentliches Expertengespräch des Bundestagsausschusses für Kultur und Medien zur „Zukunft des Qualitätsjournalismus“

Februar 13th, 2011 · 9 Comments · Bürgerjournalismus, Citizen Journalism, digitales Publizieren, In eigener Sache, Internet Governance, Internet-Regulierung, Journalismus, Leistungsschutzrecht, Lobbyismus, Publizieren, Rundfunk, Social Media, User Generated Content, Veranstaltungen, Verlage

Für den 23. Februar (15.30 Uhr) bin ich als einer der Experten zu einem öffentlichen Expertengespräch des Bundestagsausschusses für Kultur und Medien zur „Zukunft des Qualitätsjournalismus“ geladen. Inzwischen habe ich die Leitfragen zugeschickt bekommen, die den Experten als Grundlage für ihren fünfminütigen Kurzvortrag zu Beginn dienen sollen. Der Ausschuss hat sie bisher nicht auf seiner Seite bereit gestellt, daher veröffentliche ich sie hier (s. unten).

Die Fragen müssen dieses Mal nicht schriftlich beantwortet werden, worüber ich sehr froh bin (und was Voraussetzung für meine Teilnahme war), denn das ist immer unglaublich viel Arbeit für die 150 Euro „Aufwandsentschädigung“, die es dafür gibt. Die meisten Experten sind eben Festangestellte… In der Vergangenheit habe ich mir die Arbeit gemacht, so z.B. für die Anhörungen zum Urheberrecht der Internet-Enquete oder die Anhörung zu Online-Journalismus des Unterausschusses „Neue Medien“ (ich bitte die kaputten Umlaute zu entschuldigen, sie sind einem schlecht gemachten Datenbank-Update geschuldet, und ich habe keine Zeit, mich drum zu kümmern); Teile davon kann man auch hier zu Rate ziehen.

Dieses Mal werde ich einfach nicht dazu kommen, aber so viel kann ich schon an dieser Stelle sagen: Ich finde es bezeichnend, dass das Gespräch unter der Überschrift „Zukunft des Qualitätsjournalismus“ steht. Das ist zwar erheblich besser als „Zukunft des Papierbedruckens“, wie es Staatsminister Neumann und die Presseverleger mit ihrer unsäglichen, staatlich mitfinanzierten LobbykampagneNationale Initiative Printmedien – Zeitungen und Zeitschriften in der Demokratie“ sicher gern gehabt hätten.

Aber auch der Begriff Qualitätsjournalismus hat in letzter Zeit seine Unschuld verloren. War es früher selbstverständlich, zwischen Boulevard- und Qualitätsjournalismus zu unterscheiden (wenn der Begriff überhaupt genutzt wurde, s. Grafik unten), so haben es Springer (ausgerechnet!), FAZ & Co. inzwischen offenbar geschafft, den Begriff umzudeuten in „Qualitätsjournalismus ist das, was Presseverlage tun (auch im Internet), Nicht-Qualitätsjournalismus ist alles andere“. Dass diese Definition selbstverständlich Blut-und-Scheiße-Publikationen wie die BILD, Kampagnenjournalismus wie in der FAZ, Klickvieh-Fallen wie Welt.de und sueddeutsche.de oder scharenweise bornierter Lokalblätter umfasst, die ihre Leser ungefähr so ernst nehmen wie Helmut „Doktor“ Kohl die Spiegel-Redaktion, ist natürlich Sinn der Sache. Hauptsache, man kann sich von all denen abgrenzen, die nicht schon seit Hundert Jahren Papier bedrucken, und dafür ein Leistungsschutzrecht verlangen. Wer trotzdem eine gute Idee, deren Potenzial von den LeserInnen erkannt wird, wird weggeklagt.

Sei’s drum. Die Fragen sind zum Glück nicht so tendenziös wie die Überschrift – wenn auch wieder so zahlreich und umfassend, dass sie erstens in der gebotenen Zeit nur oberflächlich beantwortet werden können, ich zweitens eine ähnliche Frage wie die voraussehe, die am Ende der Befragung zum Online-Journalismus allen Fragern ins Gesicht geschrieben stand (und auch so von einer Abgeordneten geäußert wurde):  „Und wie soll es jetzt weiter gehen?“

Ich freue mich jedenfalls auf ein interessantes Gespräch. Wer sonst noch geladen ist, weiß ich nicht, aber ich werde es mitteilen, so bald ich es erfahre.

Hier das Vorkommen des Begriffs „Qualitätsjournalismus“ in den Büchern, die von Google Books erfasst sind (für die interaktive Originaldarstellung aufs Bild klicken):

Und hier die Fragen:

Leitfragen für das Expertengespräch zum Qualitätsjournalismus

o Wie verändert das Internet den Journalismus und die Medienöffentlichkeit insbesondere in qualitativer Hinsicht?

o Worin unterscheidet sich der Journalismus in der analogen, von dem in der digitalen Welt (oder ist eine solche Trennung völlig unzutreffend)? Lässt sich Online-Journalismus vom traditionellen Journalismus abgrenzen und wie wird sich dieser, auch hinsichtlich Nutzung und Qualität, entwickeln?

o Konstituieren Blogs eine neue Form journalistischer Öffentlichkeit? Wird die Aufklärungsfunktion der Presse durch sie gebrochen?

o Wie verändern ökonomische Herausforderungen (bspw. sinkende Werbeeinnahmen und Auflagezahlen, Medienkonzentration, crossmediale Verflechtungen der Unternehmen, Auftreten neuer Player wie Google) den Journalismus in seiner Qualität und seiner Bedeutung für die Demokratie?

o Welche Rolle spielt das Verhältnis von Verlag und Redaktion für die Qualität?

o Ist das Berufsethos der Journalisten durch die ökonomischen Herausforderungen in Gefahr?

o Gegenwärtig haben wir zur Finanzierung von Qualitätsjournalismus vor allem zwei Systeme: den gebührenfinanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunk und die werbefinanzierten privaten Angebote. Welche alternativen Finanzierungsmodelle, beispielsweise die im Ausland bereits verfolgten Stiftungsmodelle, bieten sich zur Sicherstellung von Qualitätsjournalismus in Deutschland an?

o Wie sehen Sie die Chancen, Journalismus über crowd funding und/oder social funding zu finanzieren und wen sehen Sie hier als die zentralen Akteure, um solcherart Finanzierungssysteme flächendeckend zum Einsatz zu bringen (Journalisten selbst, Verlage, Social Media-Unternehmen, Dritte)?

o Welche neuen Geschäftsmodelle und Publikationsmöglichkeiten sehen Sie insbesondere für freie Journalisten?

o Welche Konsequenzen hat es für den Qualitätsjournalismus, wenn immer mehr festangestellte Journalisten durch freie Mitarbeiter ersetzt werden?

o Wie ist die soziale Lage von Journalisten heute im Vergleich zum letzten Jahrzehnt und wo sehen Sie hier gesetzgeberischen Handlungsbedarf?

o Welche Konsequenzen haben diese Veränderungen für den Qualitätsjournalismus?

o Welche Veränderungen gibt es in der Ausbildung, die Journalisten heute durchlaufen?

o Werden die heutigen Ausbildungsgänge sowohl im staatlichen, als auch im privaten Bereich den Anforderungen an die zukünftigen Journalisten gerecht?

o Gerät der Journalismus in Gefahr, zum verlängerten Arm der Öffentlichkeitsarbeit zu werden? Wie ist die aktuelle Situation im Verhältnis von Journalismus und PR? Verschwimmen die Grenzen weiter oder gibt es stärkere Abgrenzungsversuche der Journalisten?

o Welche rechtlichen Rahmenbedingungen beeinflussen Journalismus im Hinblick auf Qualität und Unabhängigkeit in besonderer Weise und welcher Verbesserungs- bzw. Handlungsbedarf besteht diesbezüglich (beispielsweise mit Blick auf die verfassungsrechtlich garantierten Medienfreiheiten, die Zeugnisverweigerungsrechte, die Presseausweise und die Berufsausbildung des grundsätzlich offenen Berufes eines Journalisten oder einer Journalistin)?

o Lassen sich nach Ihrer Auffassung Tendenzen der Boulevardisierung und Verflachung feststellen und wo liegen hier die Ursachen? Nimmt die Anzahl von investigativen Berichten sowie originellen und fundiert recherchierten Artikeln ab, und wenn ja, warum? Welche Rolle spielen Nachrichtenagenturen dabei?

o „Autorität kommt von Autor und Qualität kommt von Qual“ – dieser Satz ist am Eingang der renommierten Henri-Nannen-Journalistenschule in Hamburg zu lesen. Welche Bedeutung und Rolle kommt sowohl dem Journalisten, als auch dem Leser/Zuschauer/Zuhörer im Hinblick auf die Qualität von Journalismus zu?

o Benötigen Medienschaffende (Journalisten wie Verlage und Rundfunkanstalten) stärkere Anreize zur Entwicklung von qualitativ hochwertigen Inhalten? Wenn ja, welche?

o In welchen Bereichen der Berichterstattung in Print, Rundfunk und Internet sind Qualitätsdefizite auszumachen?

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