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Matthias Spielkamp über Immaterialgüter in der digitalen Welt

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Zu Gast beim Medienforum Mittweida

Oktober 21st, 2008 · No Comments · Arbeit2.0, In eigener Sache, Urheberrecht, Veranstaltungen

header_mittweida1.pngVom 10. bis 12. November findet in Mittweida das Medienforum statt. Ich bin eingeladen, über „Kreatives Schaffen in der digitalen Welt“ zu reden und zu diskutieren, also dem Thema, zu dem ich im Arbeit2.0-Projekt mitarbeite.

Zur Vorstellung der Referenten wurde ich gebeten, per Mail Fragen zu beantworten. Die Antworten sollten im Blog des Medienforums veröffentlicht werden. Nun ist dort aber nur eine Zusammenfassung erschienen. Da ich mir aber ohnehin die Mühe gemacht habe, die Fragen zu beantworten, gibt’s sie eben hier komplett:

Können Sie schon jetzt für unsere Leser eine Tendenz aufzeigen – sieht sich der künftig „Medienschaffende“ zwangsläufig zur Hälfte als Rechtsspezialist (Stichwort: Urheberrecht) ?

Menschen, die veröffentlicht haben – Texte, Fotos, Musik etc. – mussten sich schon immer mit Rechtsfragen auskennen: mit Urheberrecht, Persönlichkeitsrecht und Haftungsfragen. Oft waren sie aber eingebunden in Unternehmen oder Redaktionen, die z.B. eine Rechtsabteilung hatten. Dadruch, dass immer mehr Menschen in Eigenregie veröffentlichen, sind sie auch selber für diese Fragen verantwortlich. Und das gilt ebenfalls für so genannte Amateure, Semi-Profis, „Pro-sumer“, oder wie immer man sie nennen will. In Fragen des Urheber- und Persönlichkeitsrechts und der Haftung für Inhalte macht es keinen Unterschied, ob man etwas in seinem Blog veröffentlicht oder in der FAZ. Insofern ist es tatsächlich nötig, dass sich „Medienschaffende“, die selbst veröffentlichen, mit diesen Fragen beschäftigen. Wie viel Zeit das beansprucht, hängt stark vom jeweilgen Produkt ab, das veröffentlicht wird.

Gibt es Statistiken die belegen, dass die Zahl der Urheberrechts-Verletzungen im Medien- und Kreativbereich signifikant zugenommen hat – und damit das Beschäftigen mit Rechtsfragen unerlässlich wird?

Ich kenne keine solchen Statistiken. Aber es ist schwer vorstellbar, dass die Zahl nicht zugenommen haben könnte. Denn durch die Tatsache, dass über das Internet so einfach veröffentlicht werden kann, steigt das Risiko, dabei gegen fremde Rechte zu verstoßen, stark an. Wer früher ein Foto in seiner Diaschau den Verwandten geueigt hat, musste kaum befürchten, eine Abmahung zu bekommen. Bei Fotos im MySpace-Profil ist das anders.

Sehen Sie neben Urheberrechtsverletzungen und unsicheren Beschäftigungsverhältnissen noch andere Unsicherheiten für Kreative?

Von rechtlicher Seite: Haftungsfragen. Bei der Vermarktung ihrer Arbeit: schlechte Verhandlungspositionen gegenüber den Verwerten, die sie zwingen, sämtiche Rechte an ihren Werken abzutreten, ohne eine angemessen Vergütung dafür zu bezahlen (Stichwort Total-Buyout-Geschäftsbedingungen). Aber natürlich gibt es auch Chancen, die es früher nicht gab.

Ist das Phänomen der „Digitalen Bohème“, die im Cafe sitzend E-Mails checkt und Meetings abhält, nur eine momentane Erscheinung, oder wird dieser Trend anhalten?

Ob es nun in genau dieser Ausprägung weiter bestehen wird, kann ich nicht sagen. Den Mechanismus, der dem Phänomen zugrunde liegt, hat der östereichisch-französische Philosoph André Gorz wie folgt analysiert: „Die völlige Subsumtion des Sich-selbst-Produzierens unter das Kapital trifft also zumindest so lange auf unüberschreitbare Grenzen, wie ein Unterschied zwischen dem Individuum und dem Unternehmen sowie zwischen Arbeitskraft und Kapital bestehen bleibt und solange die Arbeitskraft sich weigern kann, sich total für das Unternehmen mobilisieren zu lassen“, so Gorz. Aber es genügt, „diese Grenze zu erkennen, um sofort die Möglichkeiten ihrer Beseitigung zu sehen: Der Unterschied zwischen Subjekt und Unternehmen, zwischen Arbeitskraft und Kapital muss beseitigt werden. Die Person muss für sich selbst zum Unternehmen werden, sie muss sich selbst, als Arbeitskraft, als fixes Kapital betrachten, das seine ständige Reproduktion, Modernisierung, Erweiterung du Verwertung erfordert.“ Gorz bezeichnet das mit dem Begriff des Selbst-Unternehmertums. Der Selbstunternehmer ist derjenige, der den Unterschied zwischen Individuum und Unternehmen, zwischen Arbeitskraft und Kapital für sich selbst aus der Welt schafft. Die Tendenz zum Selbst-Unternehmertum wird sich eher noch verstärken, wenn wir nicht gegensteuern, etwa indem ein bedingungsloses Grundeinkommen eingeführt wird. Passiert das nicht, wird die Zahl derjenigen, die sich bei der Selbstausbeutung noch einen Kaffee leisten können, eher abnehmen. Daher ist der Begriff der „Digitalen Bohème“ auch so falsch, wie er attraktiv ist. 

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