Journalismusforscher Stephan Russ-Mohl hat in der NZZ sehr lesenwert den Jahresbericht zum Zustand der Medien des „Project for Excellence in Journalism“ ausgewertet. Ist zwar schon einen Monat alt, aber ich bin erst jetzt dazu gekommen, den Artikel zu lesen. Russ-Mohl schreibt:
Die ökonomische Krise der Tagespresse verengt das Informationsangebot. Dies zeigt eine amerikanische Studie. Danach finden in den USA immer weniger Themen die Aufmerksamkeit der Medien.
Die Gründe dafür:
Die Branche befinde sich nahezu «im freien Fall». Vielleicht würden sich ja «noch ein paar Fallschirme öffnen», aber im dritten Jahr in Folge sei kein Boden in Sicht. Um 23 Prozent sind die Erträge aus dem Anzeigengeschäft in den letzten beiden Jahren eingebrochen, etwa ein Fünftel aller Journalisten, die 2001 noch in einer Redaktion gearbeitet haben, sind entlassen – und das schwierigste Jahr steht mit 2009 wohl noch bevor.
Und dann kommt der Absatz, den sich die deutsche Zeitungsbranche hinter die Ohren, auf Bildschirmschoner, Yellow Stickies, Kühlschrankmagneten und Kaffeetassen schreiben sollte:
Als «noch kaum wahrgenommene, aber wohl wichtigste Veränderung» registriert der Report, dass das Publikum inzwischen beschleunigt ins Internet abwandert und sich auch dort mit Nachrichten versorgt. Allein im letzten Jahr habe der Verkehr bei den 50 wichtigsten Websites, die Nachrichten anbieten, um 27 Prozent zugenommen. Dies vergrössere den Druck auf die Branche, «sich neu zu erfinden» – denn bis heute werden die meisten News-Websites von ihren Mutterhäusern aus Print-Erlösen querfinanziert. Die Hoffnungen, sie künftig aus steigenden Online-Werbeeinnahmen profitabel machen zu können, erweisen sich zusehends als Fata Morgana.
Wenn ich daran denke, dass erst kürzlich beim Branchenhearing Pressemarkt des BMWi ein Vertreter eines Verlegerverbands sinngemäß sagte: „Print wird auf lange Sicht unser Primärprodukt sein, anderes, wie etwa Online-Angebote, davon abgeleitet“, kann ich allerdings nur sagen: dann gute Nacht.
Allerdings will ich nicht verschweigen, dass viele der Anwesenden sich anders geäußert haben und zumindest behaupten zu erkennen, dass sie sich „neu erfinden müssen“. Ob es stimmt, wird man sehen; derzeit sind nicht viele Angebote bekannt, die für eine Zukunft ohne Erlöse aus Printanzeigen gerüstet sind.
Häme ist natürlich nicht angebracht. Denn die große Gefahr ist ja eben, dass das Geld, das auf Dauer für Journalismus zur Verfügung steht, der sich als vierte Gewalt versteht, weniger wird. Vielleicht wird es nie wieder so viele Journalisten geben können wie zu den „goldenen Zeiten“, in denen Zeitungs- und Zeitschriftenverlage weltweit Traumrenditen erwirtschaftet haben. Nun könnte man argumentieren, dass ja genau diese Traumrenditen schrumpfen können, und guter Journalismus wäre immer noch bezahlbar. Stimmt. Nur ist das in einem System, in dem die Investoren den höchsten Profitraten zustreben, eben sehr unwahrscheinlich. Wenn sich auf Dauer mit Journalismus wenig Geld verdienen lässt, wird es auch weniger Journalismus geben – und damit weniger Journalistinnen und Journalisten.
Zudem denke ich nicht nur an die Verlage. Auch Journalisten müssen sich auf die neuen Gegebenheiten einstellen. Journalisten, die heute davon ausgehen, in den kommenden 20 Jahre ihren Job so weiter machen zu können wie bisher, geben sich einer trügerischen Hoffnung hin. Ich sage das mit Blick auf die inzwischen zehn Jahre, in denen ich in Journalistenschulen und großen Medienhäusern Journalisten mit aus- und -fortgebildet habe. Wenn ich daran denke, wie wenig neugierig vor allem viele Berufsanfänger beim Thema Internet sind, dann sehe ich für einige von ihnen schwarz. Vor allem in einem schrumpfenden Markt.

Einer der Gründe, die kaum gesehen werden, könnte in der in den letzten Jahren gewachsenen Angepaßtheit auch der „Qualitätspresse“ sein. Die Leute merken, daß sie für dumm verkauft werden und wollen das nicht auch noch bezahlen.
Zu behaupten, Qualtiätsjournalismus ist nur werbefinzaniert zu haben, ist vergleichbar mit der Aussage, die Grundlage einer guten Ehe ist die Prostitution.
Da muß in der Tat etwas neu erfunden werden.
Wie wäre es denn mal mit „unabhängiger Berichterstattung“ als Geschäftsmodell? Wäre doch mal was ganz Neues! Vielleicht gibt es ja dafür tatsächlich einen Markt, dh. Leser, die dafür bezahlen wollen. Ich würde mich dazu zählen. Aber zurzeit vermeide ich es wie der Teufel das Weihwasser für irgendeine Zeitung zu bezahlen.
Wenn ich Regierungserklärungen lesen möchte, dann muss ich dafür nicht extra bezahlen. Und für verdeckte Werbeanzeigen gilt das gleiche.
Wenn die Zeitungen Pleite gehen wäre das auch keine große Gefahr für die Demokratie. Ihre Funktion als vierte üben die Zeitungen/Fernsehen quasi nicht mehr aus. Sie haben allein systemstabilisierende Funktion. Das ist eindeutig zu wenig.
@WRomey und Kuchentester: Ich kann die Kommentare gut verstehen, schließlich kritisiere ich oft genug auch hier interessengeleiteten Journalismus. Aber man kann nun nicht behaupten, dass Experimente mit allein verkaufsfinanzierten Publikationen großen Erfolg hätten. Die taz verfolgt dieses Modell seit ihrer Gründung (und war damit auf ihre Art schon citizen journalism, als noch niemand an den Ausdruck dachte), und man kann nicht behaupten, dass es gut funktioniert. Eine ganze Medienlandschaft, die darauf beruht, ist schwer vorstellbar.
Was ist das denn für eine uninspirierte Einstellung, Herr Spielkamp??? Da hätte ich jetzt aber mehr Enthusiasmus erwartet.
Das Siechtum einer ganzen Branche, eines ganzes Berufsstandes kann man doch nicht besser verdeutlichen als mit dem Auftritt von Eric Schmidt (Chef von Google, Anm. d. Redaktion.) vor dem Verband der amerikanischen Verleger. Dort muss er denen erklären, wie deren Geschäftsmodell auszusehen hat. Nach seiner Ansicht in der Tat frei verfügbare Inhalte. Liegt also dementsprechend ganz auf Ihrer Linie, Herr Spielkamp.
Ok, dann muss ich also auch zukünftig für meine Informationen nicht bezahlen. Von mir aus gern. Aber muss das denn gegen einen unabhängigen Journalismus sprechen? Die Abhängigkeit entsteht doch nur, wenn man von einzelnen (großen) Anzeigenkunden abhängig ist.
Wenn dem Leser demnächst sowieso individuelle Werbung entsprechend seinem Profil eingeblendet wird bei der Nutzung von Online-Angeboten, dann sehe ich da kein Problem eines Abhängigkeitsverhältnisses. Am besten hat also der Content-Lieferant keinen Einfluss auf die Werbung die geschaltet wird.
Der Content Lieferant muss nur um interessante Inhalte kümmern und damit um viele Leser. Das schafft er, in dem er die Interessen seiner Leser kennt und ihnen Raum gibt. Genau das passiert zurzeit überhaupt nicht. Das wäre doch aber genau die Möglichkeit, um eine feste Leserschaft aufzubauen und ein Kristallisationspunkt für Anliegen der Gemeinschaft (vor allem auf lokaler Ebene).
Ich erlebe gerade, wie die ich selber und viele andere auch die Funktion von Journalisten auf Amateurebene übernehmen, da die „Profis“, die achso tollen Journalisten und vor allem die Verleger, an deren Fäden diese hängen, nicht mehr ihrer Rolle gerecht werden.
Und diese Internetaktivitäten scheinen mittlerweile so viel Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, dass es den Herren ganz mulmig wird angesichts des drohenden Machtverlusts, dass man sich anschickt und das Internet dicht machen will, um sich vor unliebsamen Entwicklungen zu schützen. Von der Laien sei Dank. Natürlich alles im Zeichen des Urheberschutzes, äh Kinderwohles…
Und anstatt, dass die Presse sich für ihre eigene Freiheit einsetzt und diese Pläne in Grund und Boden schreibt, steht sie nur daneben, schaut größtenteils zu und klatscht auch noch Beifall, weil man glaubt, lästige Konkurrenz vom Hals zu bekommen.
Ein Armutszeugnis ist das.
Die Fehler bitte ich zu entschuldigen. Mein Lektor war gerade austreten…
Jetzt habe ich gerade in Rage geschrieben:
Den aktuellen Ansehensverlust des ganzen journalistischen Berufsstandes kann man doch am besten am Beispiel von Jim Cramer darstellen.
Diese Krise hat nicht nur das Ansehen von Bankern ruiniert, sondern ebenso das von Journalisten, die diese ganze Bubble-Economy wohlwollend begleitet haben. Man hätte gedacht, dass seit New Economy und Enron dieser Berufsstand dazugelernt hat. Aber nein.
Und dieses Mal werden sie wohl nicht so leicht davon kommen. Weil diesmal nicht nur ein paar Aktienspekulanten betroffen sind sondern alle.
Und was ist das für ein Journalismus, in dem die wirklich spannenden Fragen von Comedians und Kabarettisten gestellt werden, wie von Jon Stewart an Jim Cramer in der Daily Show? Wenn also nur noch die Hofnarren des Staates wirkliche Kritik üben können? In welcher Staatsform bedarf es eigentlich eines Hofnarrens, der sich noch traut öffentlich Kritik zu üben?
Zugegeben: Wir sind nicht die USA, aber so viel anders ist es hier leider auch nicht.
Passend zum Thema schreibt heute Wolfgang Münchau in der FTD:
„Die Wut wird sich natürlich gegen die Banker richten, die man im Verdacht hat, die Krise verursacht zu haben. Aber auch gegen Politiker, die nicht ausreichend reagiert haben, gegen Ausländer, gegen Journalisten, vielleicht auch gegen Beamte, die sich krisenfester Jobs erfreuen.“
http://www.ftd.de/meinung/leitartikel/:Kolumne-Wolfgang-M%FCnchau-In-der-Wutfalle/506733.html?p=2
Meine Wut ist schon da…
Bezeichnenderweise von Wolfgang Münchau, der normalerweise für die Financial Times schreibt. Für diese Zeitung würde ich in der Tat bezahlen. Aber hier in Deutschland gibt es nichts, was annähernd daran heranreicht.
Es scheint wieder einen eisernen Vorhang in Deutschland zu geben. Diesmal umgibt er das ganze Land…
Was mich wundert und bedrückt ist, wie wenig angeblich kritische Leute bereit sind, für kritische Presse Geld auszugeben; der Edelitaliener ist für einige wichtiger. Kritische Presse gibt es schon noch: neu: „Hintergrund“ und „Lunapark“, älter: „Freitag“,“UZ“,“Junge Welt“. Alle mit mehr oder minder großer Selbstausbeutung.
Im übrigen geht es für mich nicht um Werbung oder nicht. Entscheidend ist, welche Werbung. Ich will etwas lesen, von dem die Werbewirtschaft weiß, daß sie sich mit Werbung schaden würde, weil die große Mehrheit der Leserschaft dieser Zeitschrift sie als Zumutung empfindet. Wenn in einer Zeitschrift neu derartige verdummende Werbung erscheint, hat die Redaktion vielleicht formal die Unabhängigkeit bewahrt, inhaltlich hat sie sich prostituiert.