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Matthias Spielkamp über Immaterialgüter in der digitalen Welt

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taz: „Arm, ärmer, Autor“. Schade – wieder eine Chance vertan.

März 2nd, 2009 · 3 Comments · Journalismus

Die freie Publizistin Hilal Sezgin beklagt sich in der Samstags-taz ausführlich über die schlechten Arbeitsbedingungen freier Journalistinnen und Journalisten:

Für die Rezension in einer Tageszeitung hat man vielleicht ein 400-seitiges Buch sorgfältig Seite für Seite gelesen; leider wurde aus Platzgründen nur eine Kurzfassung gedruckt, für die es dann 90 Euro gibt. 140 Euro erhält man, wenn man Glück hat, in einer überregionalen Tageszeitung für einen Kurzessay wie diesen, nachdem man mit dem Thema zwei Wochen schwanger gegangen ist, einen Tag geschrieben und zwei weitere daran gefeilt hat. Zum Glück hat die Woche der Freiberufler sechs bis sieben Tage; Urlaub machen wir sowieso fast nie. Einige Kollegen, die ich kenne, haben sich zum Ziel gesetzt, monatlich 2.000 Euro brutto zu verdienen; dann blieben ihnen nämlich etwa 1.200 Euro netto, bei einer Wochenarbeitszeit von 48 Stunden. Das Ziel bleibt Traum; die 2.000-Euro-Marke wird von den wenigsten erreicht.

Sezgin hat Recht, die Lage vieler freiberuflicher Journalisten ist so schlecht, wie sie sie beschreibt. Dennoch sollte der Artikel ein Ärgernis sein für alle, die sich für bessere Arbeitsbedingungen und Honorare einsetzen. Denn sie schreibt auch:

Ebenso wenig kenne ich auch heute – trotz umgekehrten mehrfachen Nachfragens – von den meisten der Medien, für die ich arbeite, das Zeilengeld. Immerhin weiß ich jetzt, was diese mangelnde Auskunft für den Menschen am anderen Ende des Internets oder des Telefons bedeutet. Es bedeutet, dass dich jemand anruft und mit dir einen verbindlichen, termingebundenen Auftrag vereinbart, bei dem du trotzdem viele Wochen später noch nicht weißt, wie viel du daran verdienen wirst. (Die meisten Zeitungen rechnen nur einmal im Monat ab, und es gilt der Monat nach jenem, in dem der Text erschienen ist.)

Aha. Trotz mehrfachen Nachfragens weiß Sezgin nicht, wie viel Honorar sie bekommen wird? Wie kann sie dann wissen, wie viel Arbeit sie in den Auftrag investieren kann, damit er sich für sie noch lohnt? Sie weiß es nicht, und das, meint sie, ist die Schuld der Verhältnisse.

Natürlich, aber zu diesen Verhältnissen gehört sie auch. Wenn Sezgin meint, es sei die richtige Einstellung für eine (Allein-)Unternehmerin, nicht zu wissen, wie viel ihre Arbeit wert ist, zu welchem Preis sie bereit ist, welche Arbeit zu leisten, dann ist das Sezgins Sache. Aber es sollte kein Vorbild sein für die vielen Freiberufler, die einen guten Lebensunterhalt verdienen wollen. (Ich bin Journalist und seit mehr als zehn Jahren Freiberufler.)

Seit Jahrzehnten geben Gewerkschaften und andere Organistaionen Bücher und Broschüren heraus, in denen sie Journalistinnen und Journalisten auffordern, betriebswirtschaftlich zu denken und zu handeln.Als Beispiel sei hier nur der „Ratgeber Freie“ des dju/verdi-Kollegen Goetz Buchholz genannt, den ich immer wieder empfehle. Nicht nur wegen der Tipps zu Steuern und KSK. Sondern wegen solcher Passagen:

Auftraggeber sind keine Wohltäter, denen Freie zu Dank verpflichtet wären. Auftraggeber sind aber auch keine Ausbeuter, denen grundsätzlich mit Misstrauen zu begegnen wäre. Und sie sind keine Alleinherrscher, von denen man sich alles gefallen lassen müsste. Wer mir einen Konzertauftritt, ein Bild, einen Onlinebeitrag abkauft, ist mein Kunde.
Auch wenn das vielen Auftraggebern nicht bewusst ist und viele Geschäftsbeziehungen im Alltag ganz anders aussehen – schon dieses Bewusstsein hilft Freien weiter: Der andere will etwas von mir. Zu diesem Selbstbewusstsein gehört, dass Auftragskonditionen zwischen Verkäuferin und Kunden verhandelt und nicht einseitig bestimmt werden, dass man auch nein sagen kann, wenn die Konditionen nicht stimmen, und dass man sich von unerfreulichen Kunden ganz trennen kann. Diesen Spielraum nutzen zu wenige Freie aus.
Zu diesem Selbstbewusstsein gehört aber auch ein professionelles Auftreten gegenüber den Kunden: kalkulierte Selbstdarstellung, eigene Preisvorstellungen, klare Absprachen und Lieferbedingungen, korrekte Arbeit und Abrechnung.

Nützt es etwas? Leider nur in Maßen. Noch immer kenne ich zu viele Kolleginnen und Kollegen, die jedes Honorar akzeptieren (nachträglich, denn verhandelt haben sie es nicht), weil Journalismus schließlich eine Berufung ist und die Welt verbessert werden muss. Aus meiner Sicht ist das schlicht unprofessionell. Wie man in den Wald hinein ruft, so schallt es heraus. Wir leben in einer Marktwirtschaft, und Gruner&Jahr, Springer und Holtzbrinck wollen nicht die Welt verbessern, sondern ihre Rendite. Da treffen zwei ungleiche Verhandlungspartner aufeinander – nicht nur, was die Machtverhältnisse angeht, sondern auch die Mentalitäten.

Wem das jetzt zynisch vorkommt und meint, ich sei ein Turbo-Kapitalist, für den der Journalismus nur als Einnahmequelle dient, den kann ich verstehen. Solche Reaktionen bin ich gewohnt. Falsch sind sie trotzdem.

Es geht hier um zweierlei: zum einen habe ich persönlich keine Lust, wie ein Bittsteller behandelt zu werden. Ich habe bereits zahlreiche Verlagsverträge weggeworfen, in denen ich aufgefordert worden bin, alle meine Verwertunsgrechte abzutreten, ohne einen Cent mehr Honorar zu bekommen – auf die Gefahr hin, nie wieder einen Auftrag von diesen Verlagen zu bekommen. In einigen Fällen habe ich dennoch wieder für sie geschrieben, denn sie waren interessiert an dem, was ich zu berichten hatte.

Zum anderen ist diese „ich akzeptiere alles, weil ich ja Geld verdienen muss und allein ohnehin nichts ausrichten kann“-Mentalität eine große Gefahr. Denn sie hindert die JournalistInnen daran, sich mit den Machtverhältnissen auseinanderzusetzen und zu versuchen, sie zu verändern.

Daher bin ich froh, dass es Menschen gibt, die das anders sehen, und Angebote machen, wie man das ändern kann. Ich bin nicht so schlecht zu sprechen auf die Gewerkschaften wie viele andere, und das mag daran liegen, dass die Deutsche Journalistenunion (dju in ver.di), in der ich seit mehr als zehn Jahren Mitglied bin, immer auch gute Arbeit für Freiberufler gemacht hat, z.B. mit dem Beratungsangebot mediafon.net oder dem oben genannten Ratgeber Freie – für eine Gewerkschaft ja nicht unbedingt selbstverständlich.

Und ich freue mich sehr über neue Initiativen, wie etwa den Verband freiberuflicher Journalisten Freischreiber, der im November gegründet wurde – weil zu viele Freiberufler unzufrieden sind mit ihren Arbeitsverhältnissen und nicht einfach still klagen wollen (oder in der taz), sondern glauben, dass kollektives Handeln sinnvoller ist als geheimes Leiden.

Von all dem ist in Sezgins Artikel nichts zu lesen. Schade. Wieder eine Chance vertan.

Ja,ich weiß, Sezgin schreibt auch:

Ich glaube nicht, dass sich dieses Problem – die Sicherung von Existenzen und damit auch von publizistischer Qualität – durch die Hartnäckigkeit einzelner Freiberufler allein lösen lässt. Wir brauchen verbindliche, quasigewerkschaftliche Verhandlungen und Preislisten, die den Abwärtstaumel der Honorare stoppen. Wir brauchen Solidarität von den Kollegen aus dem Innern der Redaktionen. Wir brauchen Fairness.

Aber das an den Schluss eines larmoyanten Artikels zu klatschen, wird nicht weiter helfen. Ich hoffe, Szegin ist Mitglied bei dju, DJV oder Freischreiber. Wenn nicht, sollte sie es schleunigst werden.

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