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Aktionsbündnis „Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft“: Für ein vorwärts, nicht rückwärts gerichtetes Urheberrecht

April 28th, 2009 · No Comments · Internet Governance, Internet-Regulierung, Lobbyismus, Open Access, Publizieren, Urheberrecht, Wissenschaft

Das Aktionsbündnis „Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft“ hat erneut Stellung zum „Heidelberger Appell“ genommen. Hier der Wortlaut:

Das Aktionsbündnis Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft hat mit  Bedauern und Sorge zur Kenntnis genommen, dass die für die  Heidelberger Erklärung Verantwortlichen (Referenz dazu am Ende) ihre  verantwortungslose Kampagne fortsetzen und sich nun auch direkt an die  Bundeskanzlerin gewandt haben, damit diese sich für  Publikationsfreiheit und die Wahrung der Urheberrechte (so im Titel  der Erklärung) einsetzen möge.

Ein solcher Appell wäre an sich sicher in Ordnung, wenn nicht, so der  Sprecher des Aktionsbündnisses Prof. Rainer Kuhlen, in der  Heidelberger Erklärung ein rückwärts gerichtetes und pur  individualistisches Verständnis von Freiheit und Rechten deutlich  würde, das an den rechts-konservativen Bund Freiheit der Wissenschaft  aus den 70er Jahren erinnert.

Das Aktionsbündnis hat sich durch diesen Vorstoß veranlasst gesehen,  sich ebenfalls an die Bundeskanzlerin zu wenden, damit die  Heidelberger Erklärung nicht weiteren politischen Schaden für Bildung  und Wissenschaft anrichtet. Das Aktionsbündnis hat dabei auch die  Kanzlerin daran erinnert, dass sich die Regierung in ihrer  Koalitionsvereinbarung das Ziel eines wissenschaftsfreundlichen  Urheberrechts vorgenommen hat. Das ist bislang leider nicht erreicht.

Hintergrund

Es ist unverkennbar, dass die Heidelberger Erklärung darauf abzielt,  das bestehende Urheberrecht weiter zu stärken. Dieses Urheberrecht,  zusammen mit den derzeit dominierenden kommerziellen  Publikationsformen, ist jedoch extrem bildungs- und  wissenschaftsunfreundlich.

Dabei ist offensichtlich, dass die Heidelberger Initiative im  Zusammenhang der Kampagnen der Verlagswirtschaft (des Börsenvereins)  zu sehen ist, die nicht zuletzt darauf abzielen, die beginnende  Debatte um ein neues Urheberrecht (auch im Dritten Korb) in eine  defensive besitzstandswahrende Richtung zugunsten der  Verlagswirtschaft zu lenken. Nicht umsonst haben weit über 200  Vertreter der Verlage diese Erklärung unterschrieben.  Bedauerlicherweise ist den Nicht-Verlags-Unterzeichnern, vor allem  denen aus der Wissenschaft, dieser Zusammenhang offenbar nicht  deutlich geworden.

Das Aktionsbündnis bedauert es, dass die Initiatoren der Heidelberger  versuchen, die aus der Wissenschaft selber entstandene und von den  Wissenschaftsorganisationen unterstützte Open-Access-Bewegung als  Enteignung der Kreativen und Bedrohung der Publikationsfreiheit zu  diffamieren.

Der Sprecher des Aktionsbündnisses bedauerte es ebenfalls wenn sich  durch die Heidelberger Erklärung, mit der Unterstützung der  Verlagswirtschaft, eine längst als überwunden geglaubte Kluft  zwischen den Geisteswissenschaften und allen anderen Wissenschaften  neu auftun sollte. Die Erklärung haben aus der Wissenschaft, neben  wenigen Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlern, fast ausschließlich  Geisteswissenschaftler/innen im weiteren Sinne unterschrieben.

Das Aktionsbündnis möchte ebenso deutlich klarstellen, dass Freiheit  von Literatur, Kunst und Wissenschaft unbestritten ein hohes und vom  Aktionsbündnis stets verteidigtes Gut ist. Dazu gehören auch die im  Urheberrecht garantierten Persönlichkeitsrechte der Kreativen.  Entschließt sich der Wissenschaftler zum Publizieren seines Wissens,  zumal wenn die Produktion dieses Wissens mit öffentlichen Mitteln  finanziert bzw. unterstützt wurde, hat jedoch die Öffentlichkeit das  Recht, zu diesem Wissen freizügigen Zugang zu erhalten. Dieses Ziel  soll durch Open Access erreicht werden.

Das Aktionsbündnis unterstützt alle Anstrengungen, Open Access zum  einen mit dem Urheberrecht, zum andern mit den Publikationsmodellen  der Verlagswirtschaft kompatibel zu machen. Das Aktionsbündnis sieht  im Open-Access-Paradigma auch die Zukunft der Verlage. Das Recht der  Urheber in Bildung und Wissenschaft, mit Verlagen Verträge zur  Publikation ihrer Werke abzuschließen, ist ein nicht bezweifeltes  Recht. Jedoch sollten dazu nur einfache Nutzungsrechte vergeben  werden. Die exklusive kommerzielle Verfügung über das mit  öffentlichen Mitteln produzierte Wissen ist nicht länger hinzunehmen.

Das Aktionsbündnis sieht, ebenso wie die Allianz der  Wissenschaftsorganisationen, die besondere Situation von Bildung und  Wissenschaft. Die hier geführten Debatten und Forderungen, auch  bezüglich der Sozialpflichtigkeit von geistigem Eigentum, können  sicherlich nicht in jeder Hinsicht auf andere Bereiche der  Wissensproduktion auf den Publikumsmärkten (Musik, Kunst, Filme,  Spiele, Belletristik,?) übertragen werden, auch wenn auch hier der  Anspruch der Öffentlichkeit, auf diese Kulturgüter, z.B. über  öffentliche Einrichtungen wie Bibliotheken, Archive, Museen, frei  zugreifen zu können, erhalten bleiben muss.

Das Aktionsbündnis fordert alle Unterzeichner der Heidelberger  Erklärung, aber auch alle Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen  aus allen Disziplinen auf, sich nicht durch eine vermeintliche  Solidarität mit den Verlagen fremd bestimmen zu lassen.  Publikationsfreiheit und die Wahrung der Urheberrechte sollten sie  sich nicht von der Wirtschaft vertreten lassen.

Das Aktionsbündnis „Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft“ wurde 2004 im Zusammenhang mit  der Novellierung der Urheberrechtsgesetzgebung in Deutschland  gegründet. Das Aktionsbündnis setzt sich für ein ausgewogenes  Urheberrecht ein und fordert für alle, die zum Zweck von Bildung und  Wissenschaft im öffentlichen Raum tätig sind, den freien Zugang zur  weltweiten Information zu jeder Zeit von jedem Ort. Grundlage des  Aktionsbündnisses ist die Göttinger Erklärung zum Urheberrecht für  Bildung und Wissenschaft vom 5. Juli 2004. Diese Erklärung wurde  unterzeichnet von sechs Mitgliedern der Allianz der  Wissenschaftsorganisationen (Fraunhofer-Gesellschaft zur Förderung  der angewandten Forschung e.V., Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher  Forschungszentren e.V., Hochschulrektorenkonferenz,  Max-Planck-Gesellschaft, Wissenschaftsgemeinschaft Gottfried Wilhelm  Leibniz e.V. und Wissenschaftsrat), von 365 wissenschaftlichen  Fachgesellschaften, Informationseinrichtungen und Verbänden sowie von  mehr als 7000 Einzelpersönlichkeiten. Sprecher des Aktionsbündnisses  sind Prof. Dr. Rainer Kuhlen (Konstanz), Dr. Harald Mueller  (Heidelberg), Dr. Wolf-Dieter Sepp (Kassel). Weitere Informationen  über Nachfrage an: rainer.kuhlen at uni-konstanz.de, hmueller at  mpil.de und sepp at physik.uni-kassel.de.

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