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Matthias Spielkamp über Immaterialgüter in der digitalen Welt

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Berliner Rede zum Urheberrecht – meine 2 Cent

Juni 15th, 2010 · 20 Comments · angemessene Vergütung, Leistungsschutzrecht, Lobbyismus, Publizieren, Urheberrecht, Verlage

Bei IUWIS – Infrastruktur Urheberrecht für Wissenschaft und Bildung gibt es nicht nur einen Artikel zur Berliner Rede der Bundesjustizminsterin von Ben Kaden, sondern auch eine umfasende Zusammenstellung der Reaktionen auf die Rede.

Da ich derzeit wieder unterrichte, komme ich leider nicht dazu, ebenfalls eine fundierte Einschätzung abzugeben. Aber so viel kann ich sagen: Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hat eine erschreckend rückwarts gewandte Rede gehalten, die mit keinem Wort die drängendsten Probleme der Urheberrechtsgegenwart und -praxis erwähnte: zum einen das völlig aus der Balance geratene Verhältnis zwischen Urhebern und Verwertern. Dass die vertraglichen Regelungen, die Urheber mit  Verwertern treffen, eben genau nicht durch das Urheberrechtsgesetz angemessen reguliert werden (auch nicht durch das Stärkungsgesetz), sondern Total-Buyout-Verträge an der Tagesordnung sind, ist im Ministerium entweder nicht angekommen, oder es wird ignoriert. Ich weiß nicht, was ich schlimmer finden soll.

Durch Aussagen wie „Wenn man sich anschaut, wie über das Urheberrecht in der digitalen Welt gestritten wird, dann stelle ich fest, dass die Debatte leider von zwei Extremen bestimmt wird“, versucht die Ministerin den Eindruck zu erwecken, als sei die eine Seite ebenso ernst zu nehmen wie die andere. Damit verschleiert sie, dass es keine ernstzunehmenden, einflussreichen politischen Kräfte gibt, die eine Abschaffung des Urheberrechts fordern („für die das Urheberrecht ein blanker Anachronismus geworden ist“, wie die Ministerin es ausdrückt), auf der anderen Seite aber Vorschläge wie das Leistungsschutzrecht für Presseverlage im Koalitionsvertrag stehen. Eine bewährte Strategie, um später sagen zu können, man habe einen Ausgleich gesucht und gefunden.

Das andere drängende Problem sind die Fragen von Wissenschaft und Forschung, die also offenbar auch im 3. Korb nicht adäquat adressiert werden. Aber dazu s. den Beitrag von Kaden.

Zum Schluss noch ein Wort zu Ulrich Wickert. Offenbar hatte man ihn eingeladen mit dem Hintersinn, dass nach seiner Einführung die Rede der Ministerin nur noch eine Steigerung sein konnte. Das Kalkül ist aufgegangen. Wickert hat genau die Bräsigkeit und Borniertheit demonstriert, die ihn seit Jahrzehnten charakterisiert hat (als er sich vom Journalisten zum Journalistendarsteller wandelte), und die so viele selbsternannte Alpha-Journalisten auszeichnet: Sie glauben, dass sie auch ohne weitere Recherche zu jedem sich bietenden Thema innerhalb einer Stunde etwas Sinnvolles sagen können. Und niemand hat hinterher die Chuzpe, ihnen zu sagen, dass sie damit leider völlig falsch liegen. Eine kenntnisfreiere Einlassung zum Urheberrecht habe ich selten gehört.

Aber sein Gefalsel von den genialischen Autoren, die vor den bösen Raubkopierern geschützt werden wollen, spielt dem BMJ und der Verwerterlobby natürlich perfekt in die Hände. Wickert (und die Ministerin) sollten sich zwei Dinge durchlesen: Jessica Litmans Essay Copyright as Myth und die Studien von Martin Kretschmer zur ökonomischen Bedeutung des Urheberrechts.

Ach ja (Nachtrag): und natürlich Till Kreutzers Analyse zu AGB: Freiwild oder Artenschutz: Ausbeutung durch AGB und den von iRights.info im Projekt Arbeit2.0 erstellten Abschlussbericht: Arbeit 2.0 – Urheberrecht und kreatives Schaffen in der digitalen Welt (PDF, 6,6 MB) mit meinem Brancheportrait Journalismus.

Man wird ja noch träumen dürfen.

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20 Comments so far ↓

  • Manfred

    Sind die genannten Quellen BESSER oder einfach nur KÜRZER als Lawrence Lessigs Buch „Free Culture“ / „Freie Kultur“? 😉

  • Manfred

    Die Litman-Quelle ist ohnehin hinter eine unüberwindbaren Kostenbarriere verborgen. Frau Litman scheint sich selbst nicht sonderlich ernst zu nehmen 😉

  • Intermezzo (153) « Blue Archive

    […] Dass die vertraglichen Regelungen, die Urheber mit Verwertern treffen, eben genau nicht durch das Ur… […]

  • Karpfenpeter

    Moin Matthias,

    ich teile Deine Ansicht. Mich hat die Rede auch eher enttäuscht, war sie doch an zu vielen Punkten, wie du sagst, rückwärts gewandt. Abgesehen davon, dass an einigen Punkten deutlicher Widerspruch faktisch herausgefordert wurde, so bar einer faktischen Grundlage, wie die manche Aussage war.

    Zu Deinem Kommentar mit den Total Buyout Verträgen eine kurze Info: Kürzlich erging gegen die Zeit ein Urteil, in dem solche Verträge verboten wurden. Schau mal hierzu dieses PDF:

    http://www.djv.de/fileadmin/DJV/Infothek_NEU/Urteilstenor._030610pdf.pdf

    Viele Grüsse, Peter
    http://twitter.com/karpfenpeter

  • Joachim Losehand

    Meiner Auffassung nach muß Recht das Individuum und seine Entfaltung schützen. Einer der fundamentalen Dichotomien – open culture vs. Erlösmodelle – darf sich nicht gesetzlich regeln oder gar zugunsten eines Parts auflösen lassen.

    Eine starke rechtliche Position des individuellen Urhebers muß nicht bedeuten, daß damit der share-culture oder andere kommunitaristischen Modellen eine Absage erteilt wird. Denn, wie SLS richtig sagte, das UrhR schützt keine Geschäfts- und damit Verbreitungsmodelle; es schützt den Urheber und sein Werk.

    In der digitalen Wissens- und Informationsgesellschaft ist eine anti-intellektuelle „Mein-Werk-gehört-mir“-Haltung möglicherweise schon in naher Zukunft für Urheber ein No-Go-Kriterium, der die „Ulrich Wickert“s dieser Welt ins Abseits versetzt. Darauf zu reagieren muß aber den einzelnen Urhebern selbst anheimgestellt werden. Will ein Urheber seine Werke nicht in der von der Gesellschaft nachgefragten Weise veröffentlichen, liegen die Konsequenzen, ein potentielles Unbeachtetbleiben in der Verantwortung des einzelnen Urhebers.

    Wie wir Urheber mit dem UrhR umgehen, bleibt uns selbst überlassen, welche Rechte und welche Freiheiten wir gewähren und einfordern. Je restriktiver und erlösorientierter ein Lizenzmodell ist, desto negativere Auswirkungen wird es zukünftig möglicherweise auf die Verbreitung eines Werkes haben.

  • Matthias Spielkamp

    @Peter: Es gibt leider kein solches Urteil. Urteile beziehen sich immer nur auf konkrete Einzelfälle, selbst wenn sie von der höchsten Instanz gefällt werden – was hier nicht der Fall ist. Das kann man allein an der Tatsache sehen, dass AGB in vielen verschiedenen Fällen vor Gericht angefochten werden: Bei Springer, bei Burda, bei der Zeit etc.pp. Zur Info habe ich gerade oben einen Link eingefügt zur ausgezeichneten, aber genau deshalb sehr ernüchternden Analyse der AGB-Situation durch den iRights.info-Kollegen Till Kreutzer: Freiwild oder Artenschutz: Ausbeutung durch AGB (http://www.irights.info/?q=node/761).

  • Karpfenpeter

    Langsam… Wieso schreibst Du „Es gibt kein solches Urteil“? Ich habe es doch verlinkt. (irritiert)

  • RJonathan

    Mal ohne das verlinkte Werk in Augenschein genommen zu haben – vielleicht tue ich dem Autor ja Unrecht. Aber die Gleichsetzung von Copyright und Urheberrecht durch die Internet-Urheberrechts-Aktivisten nervt. Wie kann man in einem Artikel die Unkenntnis der Politiker vortragen und zugleich ein Buch „Copyright as a myth“ empfehlen?
    Und selbst wenn – nach dem Lesen des frei zur Verfügung stehenden ersten Absatzes wird nahegelegt, dass es sich um eine Aufdeckung der mythologischen Grundlagen des Copyrights handelt. Heureka! Da haben wir aber was ausgegraben. Ich empfehle dann mal die Lektüre von „Dialektik der Aufklärung“ zur mythologischen Grundlage der Freiheit und Rationalität, wie sie ja von Intenet-Aktivisten immer als das einzig Wahre und Gute proklamiert wird.

  • SLS & die Berliner Rede zum LexSpringeR « Donutpiraten Blog

    […] auch die Rede von Frau Leutheusser-Schnarrenberger blieb weit hinter den Erwartungen von  Medienjournalisten bzw. netzpolitischen Bloggern zurück. IUWIS – Infrastruktur Urheberrecht für Wissenschaft […]

  • Robin Meyer-Lucht

    Matthias,

    Die Ministerin hat sich sehr wohl zu totalbuyout Verträgen geäußert. Sie hat nämlich gesagt, dass das Urheberrecht wettbewerbsneutral sein soll. Sie hat sogar gesagt, dass die Zwänge, die durch den digitalen Wettbewerb entstehen, gut sind.

    Dass Urheberrecht wäre somit der falsche Ort, um in die Vertragsfreiheit der beteilgten einzugreifen,

    Dies Position finde ich richtg und vorwaertsgewandt, während dieses totalbuyoutgemecker echt nervt.

  • Matthias Spielkamp

    @Peter: Es gibt kein Urteil, das Total-Buyout-Verträge verbietet. Es gibt mehrere Urteile, die verschiedene konkrete Veträge als rechtswidrig einstufen. Das ist ein gewaltiger Unterschied, denn damit ist der nächste Vertrag, den sich ein Unternehmen ausdenkt, nur bedingt betroffen.

    @RJonathan: Jessica ist eine Autorin, und mit einer Bemerkung zu beginnen wie „ich habe zwar nicht gelesen, woum es geht, aber meine Ansicht dazu ist“, macht eine weitere Diskussion im Grunde überflüssig. Aber sei’s drum: Litman beschreibt die Regelungsmacht des (Urheber-)Rechts als Fiktion von Gesetzgeber und Juristen. Sie untersucht in dem Aufsatz (nicht Buch) die Frage, welche Vorstellung Kreative vom Urheberrecht haben. Sie kommt zu dem Schluss, dass diese Vorstellung vor allem von Missverständnissen, Unkenntnis und falschen Annahmen geprägt ist. Sie stellt fest, dass die meisten Künstler und Kulturschaffenden, zu den Regelungen des Gesetzes befragt, keine, eine nur diffuse oder sogar eine schlicht falsche Vorstellung davon haben, wie es in konkreten Fällen auf ihr Arbeiten anzuwenden wäre. Auf der anderen Seite betrachten die meisten Juristen künstlerische Arbeit durch eine Gesetzes-Lupe, so dass die Idee, die sie von dieser Arbeit entwickeln, mit dem tatsächlichen Schaffensprozess wenig bis nichts zu tun hat. Der Unterschied zwischen Urheberrecht und Copyright spielt hier (fast) keine Rolle.

    @Robin: Das Dich das „Gemeckere“ nervt, kann ich mir vorstellen, dass es die FDP nervt, ist ohnehin klar. Urheberrecht wäre also der falsche Ort, um in die Vertragsfreiheit einzugreifen – so wie jeder andere Ort der falsche Ort ist, um in die Vertragsfreiheit einzugreifen, oder? Denn der Markt regelt das ja bekanntlich. Nur: „Wenn die Vertragsparität als Prämisse der Vertragsfreiheit durch die soziale und wirtschaftliche Übermacht einer Vertragspartei gestört ist, bleibt von dem Leitbild einer Vertragsgerechtigkeit durch Vertragsfreiheit wenig übrig.“, wie es Fuchs in seinem Aufsatz „Die angemessene Vergütung des Urhebers“ (http://delegibus.com/2005,1.pdf) ausdrückt. Dass Total-Buyout durchaus ein Scheinproblem sein kann, darauf habe ich bereits vor langer Zeit hingewiesen (Totaler Rechte-Ausverkauf – ein Scheinproblem? – http://irights.info/index.php?q=node/663&Kategorie=Branchenportraits). Aber ebenso ist die Vorstellung, „der Markt“ (oder, in Deiner Diktion: der Wettbewerb) werde es schon regeln, eine Scheinlösung.

  • Karpfenpeter

    Ok, ich verstand den Einwand nicht richtig einzuordnen. Jetzt schon. Danke.

  • RJonathan

    Danke für die Aufklärung. In der Tat teile ich Ihre Ansicht, dass der Unterschied Ihrer Zusammenfassung nach praktisch keine Rolle spielt. Mit Autor waren im übrigen Sie gemeint nicht Jessica Litman. Also Entschuldigung für das unangemessene Gestänkere!

    Eine Analyse eines gescheiterten Dialoges und einer gescheiterten Vermittlung des Urheberrechts zwischen den Sphären der Kreativen und der Anwälte ist sicherlich interessant.
    Für mich bleibt eine Frage (auch die Buy-Out-Verträge betreffend) offen. Wenn ein Großteil der Probleme aus der Spezialisierung der jeweiligen Experten und ihrer daraus resultierenden Sicht kommen, gibt es dann auch konkrete Vorschläge zu ihrer Überwindung? Oder geht es nur um eine Stärkung der Urheber durch gesetzliche Regelungen?

    Und eine Interessensfrage zu Markt vs. Regulierung: Sie plädieren also für eine Einschränkung des Buy-Outs z.B. durch festgelegte Beteiligungs-Quoten, wie sie zum Beispiel in Frankreich existiert? Wobei ich mir nicht sicher bin, ob diese Quotenregelungen nicht privatrechtlich durch die starken Autorenverbände ausgehandelt sind.

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