Wer die jüngere Geschichte des Urheberrechts verfolgt hat, dem müssten eigentlich bei dieser Nachricht die Worte fehlen: Das Weiße Haus hat verkündet, dass alle Inhalte, die von Dritten auf der Website Whitehouse.gov zur Verfügung gestellt werden, automatisch unter einer Creative-Commons-Lizenz stehen (der „freiesten“ Variante).
Es gibt sicherlich wenige Menschen, die vor ungefähr sieben Jahren, als die CC-Lizenzen das Licht der Welt erblickten, damit gerechnet haben. Larry Lessig, wenn nicht der alleinige Erfinder, dann aber doch der größte Visionär und die treibende Kraft hinter der Entwicklung der Lizenzen, hatte wahrscheinlich genau diesen Weitblick. Viele andere sind es nicht gewesen. Im Gegnteil, der größte Teil derer, die sich mit dem Thema überhaupt beschäftigt haben, haben diese Graswurzel-Veränderung des Copyright-Systems eher für einen idealistischen Irrweg einiger kalifornischer Spinner gehalten. Viele tun es noch immer. (Eine gute Gelegenheit, auf mein Lessig-Portrait in der ZEIT von Mitte 2004 hinzuweisen, das bei zeit.de nicht verfügbar ist, weil ich den Total-Buyout-Vertrag nicht akzeptiert habe, zu dessen Unterschrift mich der Zeit-Verlag zwingen wollte. Wie passend…).
Es gibt einen Haufen Kritik an Creative Commons. Die meiste davon ist unberechtigt, weil die Kritiker die Idee nicht begreifen können, begreifen wollen – oder einfach dafür bezahlt werden, sie abzulehen. Die Vertreter des Bundsverbands Musikindustrie wären hier mit an erster Stelle zu nennen. Es gibt aber auch sehr kluge und gerechtfertigt Kritik, etwa die von Florian Cramer, Erik Möller und vielen anderen, mit unterschiedlichen Ansätzen.
Mich in diesem Eintrag damit auseinander zu setzen, würde zu weit führen. Gerade habe ich die Druckfahnen eines Buchs auf dem Tisch, für das ich einen Beitrag zu CC geschrieben habe. Ironischer Weise ist noch nicht raus, ob ich diesen Artikel unter CC veröffentlichen darf; auch die Verlagsbranche ist eben selten die Speerspitze der Innovation. Aber wenn es geht, werde ich ihn hier einstellen. (Und hier ist das Buch, kostenlos im Netz, aber seltsamerweise nicht unter CC: Medien – Macht – Demokratie: Neue Perspektiven, PDF, 2 MB).
Es ist verführerisch, bei der Nachricht aus dem Weißen Haus in Pathos zu verfallen. Leider ist Creative Commons nicht die Lösung dafür, ein im Grundsatz kaputtes Urheberrecht, wie es inzwischen in vielen Ländern existiert (eben auch in den USA und Deutschland), zu einem funktonierenden zu machen. Wer diese Blog häufiger liest, weiß, dass ich diese Erwartung nicht habe. Sehr lesenswert in diesem Zusammenhang übrigens der Eintrag von William Patry, Googles oberstem Urheberrechts-Anwalt, zu der Frage, warum er aufhört, über das US-Copyright zu bloggen: weil es ihn zu sehr deprimiert.
Und auch Barack Obama, den Lessig aus seiner Zeit an der University of Chicago kennt, und den er mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln im Wahlkampf unterstützt hat, hat einen Urheberrechtsextremisten zu seinem Vizepräsidenten gemacht und als eine seiner ersten Amtshandlungen zwei der schärfsten „hired guns“, zwei der übelsten Lobbyisten der Musikindustrie, auf höchste Posten in seiner Regierung berufen.
Dennoch kann ich nicht umhin, wirklich bewegt zu sein, wenn ich sehe, wie weit CC in so kurzer Zeit gekommen ist. Man kann gut begründet der Ansicht sein, CC sei eine fehlgeleitete, reformistische Idee und trage nur dazu bei, ein verkommenes System länger am Leben zu erhalten. Bisher habe ich mich davon nicht überzeugen lassen. Ich fühle mich stattdessen erinnert an einen Ausspruch dieses Genies mit dem seltsamen Namen, Buckminster Fuller: Man wird nichts ändern, indem man die existierende Realität bekämpft. Um etwas zu ändern, muss man ein neues Modell entwickeln, um das bestehende überflüssig zu machen. (You never change things by fighting the existing reality. To change something, build a new model that makes the existing model obsolete.) Dass CC nach nur sieben Jahren im Weißen Haus angekommen ist, mit der Strategie, das bestehende Urheberrechtssystem nicht zu ändern, weil diese Energien angesichts der Lobby-Übermacht der Sonys und Bertelsmanns dieser Welt verschwendet wäre, sondern stattdessen den Menschen selbst mehr Wahlfreiheit zu geben, ist eigentlich unglaublich. Aber wahr.
Ironischerweise kann man Fullers Ausspruch natürlich als Kritik an CC verwenden, denn CC macht gerade nicht das bestehende System (das Urheberrecht) überflüssig, sondern setzt auf ihm auf. Aber das ist bei Freier Software ebenso, und genau deshalb ist die Idee so genial.
Das Weiße Haus: Creative Commons 3.0 als Standard-Lizenz // Jan 21, 2009 at 8:10 pm
[…] Habe gerade keine Zeit zum Rumkopieren, daher nur ein Link auf meinen Immateriblog-Eintrag dazu. […]
Vielen Dank für diesen Hinweis aber auch die Ausführungen zu CC. Ich selbst bin CC gegenüber gespalten, weil es viele Dinge eher noch komplizierter macht, zumindest im Umgang mit Bildern etc.
Was Verlage betrifft. So wenig ich schreibe, so sehr habe ich es mir zur Angewohnheit gemacht, dass, wenn schon keine „angemessene“ Vergütung möglich ist, ich mir die Rechte vorbehalte, den Text frei zur Verfügung zu stellen. Und in den Geisteswissenschaften bekommt man wirklich fast nie angemessene Honorare.
Hallo Hufi,
versuche ich auch immer. Dieses Mal lag es nicht in meiner Hand. Aber noch ist das letzte Wort nicht gesprochen.
Enzyklopädie der Kritischen Masse // Jan 21, 2009 at 9:04 pm
Endgültiges Versagen…
Soll doch jeder nach seiner Façon – ja was eigentlich? – werden. Zu müde an dieser Front geworden. Aber es gibt ja auch noch andere. Fronten.
Einen ehrbaren Kampf kann man nicht verwehren. Womit wir beim anderen Thema wären. Heute …
Obama, whitehouse.gov and Creative Commons « // Jan 22, 2009 at 9:40 am
[…] (via) […]
Homerun für Creative Commons at das druckkopfkino // Mrz 26, 2009 at 12:08 pm
[…] echte Neuigkeiten zu berichten. Andere können das besser. Matthias Spielkamp zum Beispiel über die Entscheidung des Weißen Hauses alle Inhalte auf Whitehouse.gov unter Creative Commons zu veröffentlichen. Was an dieser […]