Ein seltsames Erlebnis, bei der Jahreskonferenz der Initiative Kultur- und Kreativwirtschaft zu sein. Kaum einer der (vielen) vermeintlich kreativen Podiumsteilnehmer verzichtete auf den Appell an „den Staat“ oder „die Regierung“. Der eine versteht darunter, dass subventionierter Gewerberaum zur Verfügung gestellt wird, der nächste möchte gern, dass deutsche Kreativität im Ausland vermarktet wird (mit steuerfinanzierten Subventionen), der dritte will Kreativitätsausbildung an Schulen, und dann gibt es noch die, die gern neue Gesetze zum Schutz „geistigen Eigentums“ hätten. Schwer zu glauben, dass man sich in einem Raum voller „Kreativer“ befunden haben soll.
Ausnahmen wie der Designer Michael Michalsky bestätigen die Regel, aber der kommt auch aus einer Industrie, die traditionell so gut wie überhaupt keinen Schutz genossen hat, sondern sich immer gegen enorme Konkurrenz behaupten musste. Im Gegensatz zu den angeblich Not leidenden Unternehmen der Musikindustrie und, the new kid on the block, den Presseverlagen. Der allgegenwärtige Dieter „Musikindustrie“ Gorny war da, und fehlen durfte nicht Christoph Keese, der sich nicht entblödete, sich in den Tagungsunterlagen als „Außenminister“ (im Original ohne Anführungszeichen) der Axel Springer AG vorstellen zu lassen. Auf der einen Seite will er damit offenbar die grenzenlose Selbstsicherheit eines globalen Konzerns darstellen, der im vergangenen Jahr einen Rekordgewinn erzielt hat und in große Stil Expansionspläne schmiedet – der aber zugleich nicht nur staatlichen Schutz fordert (ein Leistungsschutzrecht für seine Produkte), sondern auch gerichtlich bestätigt bekommen hat, dass die Geschäftsbedingungen, mit denen er seine freien Journalisten knebeln will, gegen geltendes Recht verstoßen.
Bösewicht Google durfte natürlich nicht fehlen, und auch da geht der Appell an den Staat. Staatsminister Neumann will die EU in Anschlag bringen, um das Unternehmen in die Schranken zu weisen, das wie kein anderes mit unvorstellbarer Kreativität in den vergangenen Jahren neue Produkte und Dienste auf den Markt gebracht hat, nach denen sich die Kunden reißen. Und das im Internet, dem am härtesten umkämpften Wirtschaftsraum, den es je gegeben hat.
Moderatorin Amelie Fried ließ sich (und wahrscheinlich dem größten Teil des Publikums) erklären, was Browser-Games sind und konterte Andreas Steinhausers (txtr.com) Begeisterung für E-Book-Reader mit der Bemerkung: „Ich habe das eigentlich ganz gern, wenn nach dem Urlaub Sand aus den Seiten rieselt.“ Das sei ihr ja unbenommen, aber wenn man den Eindruck bekommt, die deutschen Buchverleger finden das auch, dann weiß man ziemlich genau, wer als nächstes nach staatlicher Hilfe schreien wird.
1986 musste ich in der Schule mal in SoWi (Sozialwissenschaften) ein Berufsportrait schreiben. Das war der Versuch, Gymnasiasten in der 10. Klasse, als andere in den Arbeitsmarkt geschubst wurden, mit dem Berufsleben zu konfrontieren. Ich habe mir den Werbekaufmann rausgesucht, Schwerpunkt „Multimedia“ (ja, das gab’s damals schon!). Da habe ich genau das beschrieben, was in den Pausen geboten wurde: es gab Tanztheater, kombiniert mit Nebelschwaden, Laserstrahlen und in den Hintergrund projizierten Computergrafiken. Ein sehr kreativer (keine Ironie) Regisseur, Produzent und Unternehmer sagte in der Pause dann auch: „Hier ist alles irgendwie 80er – die Herangehensweise, die Haltungen, die Musik. Nur dass man in den 80ern da noch ein Streichquartett hingesetzt hätte. Und da sieht man dann doch, dass sich etwas geändert hat.“ Der Mann ist ganz offensichtlich unverbesserlicher Optimist. In 20 Jahren werden also die Gespräche in der heutigen Gegenwart angekommen sein. Man darf gespannt sein.
Einziger Lichtblick: Staatssekretärin Dagmar Wöhrl aus dem Bundeswirtschaftsministerium, die in ihrer Rede tatsächlich sagte, das „Verhältnis zwischen Urhebern und Verwertern ist ein wenig aus der Balance geraten“. Das kann man wohl sagen. Aber daher wurden wohl keine Vertreter von Autoren, Musikern, Programmierern auf die vier Podien eingeladen (ok, Olaf Zimmermann war da, Geschäftsführer des deutschen Kulturrats – nicht gerade ein großer Anteil bei 19 Podiumsteilnehmern).
links for 2009-06-18 – Irgendwas ist ja immer – Reloaded // Jun 18, 2009 at 9:08 am
[…] Immateriblog.de – Matthias Spielkamp über Immaterialgüter in der digitalen Welt Der allgegenwärtige Dieter „Musikindustrie“ Gorny war da, und fehlen durfte nicht Christoph Keese, der sich nicht entblödete, sich in den Tagungsunterlagen als „Außenminister“ der Axel Springer AG vorstellen zu lassen. Auf der einen Seite will er damit offenbar die grenzenlose Selbstsicherheit eines globalen Konzerns darstellen, der im vergangenen Jahr einen Rekordgewinn erzielt hat und in große Stil Expansionspläne schmiedet – der aber zugleich nicht nur staatlichen Schutz fordert (ein Leistungsschutzrecht für seine Produkte), sondern auch gerichtlich bestätigt bekommen hat, dass die Geschäftsbedingungen, mit denen er seine freien Journalisten knebeln will, gegen geltendes Recht verstoßen. (tags: Urheber, Medien, internet) […]
Ist Kreativität die neue Steinkohle? — CARTA // Jun 22, 2009 at 8:34 pm
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Immateriblog.de - Matthias Spielkamp über Immaterialgüter in der digitalen Welt // Jul 7, 2009 at 4:31 pm
[…] Professoren und einfallsloser “Geschäftsleute”, die ihre Geschäfte nur noch unter dem Schutzschirm des machen wollen. Küzlich habe ich auf Anja Seeligers hervorragenden Artikel über die deutschen […]