Eine heimliche technokratische Machtergreifung heißt der Artikel von Roland Reuß in der FAZ zu Open Access. Reuß schwingt die ganz große Keule:
Ohnedies basieren die messianischen Verheißungen des Open-Access-Wahns auf Milchmädchenrechnungen, deren blendende Grundoperation eine überaus schlichte ist: Öffentlich sichtbare Kosten (Zeitschriftenabonnements, Bücherkäufe, kurz: Außenweltbeziehungen) werden in unsichtbare (immanente, komplett durch Steuermittel beglichen) verwandelt. Server, Eingabegeräte, Bildschirme und tariflich bezahlte Angestellte – meist durch Drittmittel staatlich finanziert – scheinen naturwüchsig vorhanden und werden buchungstechnisch in den Rechnungen erst gar nicht aufgeführt, obschon sie laufend beträchtliche Gelder verschlingen.
Interessant ist es, sich die Kommentare zum Artikel anzuschauen. Die sind in erster Linie Open-Access-freundlich; diejenigen, die ihn loben, haben ersichtlich keine oder wenig Ahnung von den wirtschaftlichen Aspekten des wissenschaftlichen Publizierens. Joachim Eberhardt und Eric Steinhauer haben sich bereits die dankenswerte Mühe gemacht, den Artikel zu analysieren und auf viele seiner schwachen Argumente einzugehen.
Ich möchte hier noch hinweisen auf den Podcast und die Hintergrundinformation zu John Houghton bei Open-Access.net. Im Gegensatz zu den sehr dünnen Argumenten Reuß‘ bzw. Uwe Jochums (so, wie sie von Reuß zitiert werden), der
sich einmal die Mühe gemacht hat, den Dingen auf den Grund zu gehen – in einem Beitrag zur Ökonomie der sogenannten „Nationallizenzen“
(den ich mir allerdings bei Gelegenheit mal anschauen muss in der Hoffnung, er hat nicht das Niveau von Reuß‘ Beitrag), hat Houghton nämlich mehrere ökonomische Studien zu den volkswirtschaftlichen/gesellschaftlichen Kosten bzw. dem Nutzen von Open Access erstellt. Und er kommt in einer gerade veröffentlichten Studie (PDF, 4,6 MB) zu völlig anderen Ergebnissen als Jochum bzw. Reuß:
It seems likely that more open access would have substantial net benefits in the longer term and, while net benefits may be lower during a transitional period they are likely to be positive for both OA publishing and self-archiving alternatives (i.e. Gold OA) and for parallel subscription publishing and self-archiving (i.e. Green OA). This suggests that there are gains to be realised from moving towards more open access publishing models and that, despite the lag between the costs and the realisation of benefits, the transition would probably be affordable within current system-wide budgetary allocations. (S. 231)
Da mache sich jeder sein eigenes Bild.
jurabilis - juristisches Weblog aus Berlin // Feb 22, 2009 at 3:04 pm
Open Access: Schlagabtausch in der FAZ…
Open Access ist bekanntlich ein politisches Mienenfeld. In der FAZ streiten Roland Reuß, bekennender Verlagslobbyist und selbsternannter Streiter für die (eher weniger betroffenen) „mittelständischen Wissenschaftsverlage“, und Gudrun Gersmann, Dir…
Immateriblog.de - Matthias Spielkamp über Immaterialgüter in der digitalen Welt // Feb 22, 2009 at 11:27 pm
[…] seltsamer Gastartikel in der FAZ zu Open Access […]
Immateriblog.de - Matthias Spielkamp über Immaterialgüter in der digitalen Welt // Mrz 20, 2009 at 12:31 pm
[…] gab es eine ausführliche Diskussion dazu – kaum Polemik, fast ausnahmslos Argumente. Auch ich habe hier darauf hingewiesen, wie unhaltbar die Behauptungen sind, und die FAZ hat eine Entgegnung auf […]