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Unwetterwarnungen bei Shitstorm-Gefahr: Andrea Kamphuis zum Verdi-Positionspapier zum Urheberrecht

November 20th, 2010 · 13 Comments · Internet Governance, Internet-Regulierung, Leistungsschutzrecht, Urheberrecht, Wissenschaft, Übersetzer

see-nothingFoto: OldOnliner, CC-by-nc-nd/2.0/

In einem Gastbeitrag erläutert Andrea Kamphuis, warum sie nach der Verabschiedung des Urheberrechtspositionspapiers aus ver.di ausgetreten ist.

Der letzte Akt meiner gut elfjährigen Gewerkschaftsmitgliedschaft währte ungeplant exakt ein halbes Jahr: vom 30. April bis zum 30. Oktober 2010. Über den Anlass des Austritts, das am 25. Oktober verabschiedete Positionspapier „Internet, Digitalisierung und die Zukunft des Urheberrechts“, ist schon viel geschrieben worden, zum Beispiel bei netzpolitik.org, im Immateriblog, bei iRights.info und von Thomas Hoeren. Daher kann ich mich auf eine – zwangsläufig subjektive – Darstellung der Vorgeschichte konzentrieren.

Um keine Persönlichkeitsrechte zu verletzen, verzichte ich weitgehend auf wörtliche Zitate meiner Kommunikationspartner innerhalb der Gewerkschaft, auch wenn dieser Text dadurch etwas Egozentrisches bekommt. Es geht nicht um Selbstbespiegelung oder Revanche, sondern um die Frage, an welchen gesellschaftlichen Orten Partizipation, beispielsweise das Mitdenken und Mitreden in Urheberrechtsfragen, hinreichend gewürdigt wird. Bei ver.di scheinen repräsentative Demokratie, also Gremienarbeit, und die Teilhabe der Mitglieder als Experten für ihre eigene berufliche und soziale Praxis derzeit nicht zu harmonieren. Also suche ich mir neue Foren.

Mit der Einbindung von Selbstständigen in Kultur- und Medienberufen hat sich ver.di nach meinem Eindruck von jeher schwergetan. Berufsanfänger finden dank des Referats Selbstständige und Freie hervorragende Beratungs-, Informations- und Schulungsangebote vor, aber mit wachsender Berufserfahrung wird die Luft immer dünner: Gute Honorare muss man nach wie vor individuell erkämpfen; Verhandlungen über gemeinsame Vergütungsregeln haben teils dürftige, teils überhaupt keine Ergebnisse erbracht. Angebote zur betriebswirtschaftlichen Weiterbildung und zur gemeinsamen wirtschaftlichen Analyse der Branche, unabdingbare Voraussetzungen für ein „empowerment“ gegenüber den Verwertern unserer Leistungen, sind rar – auch, weil viele Kolleginnen und Kollegen sich in einer arbeitnehmerähnlichen Rolle sehen und zwischen Ohnmachtsgefühlen und Streikfantasien oszillieren, statt ihren Kleinunternehmerstatus anzunehmen und aus ihm Konsequenzen zu ziehen.

Die tiefe Kluft, die seit Jahren durch meine ver.di-Bundessparte (den Literaturübersetzerverband VdÜ im Verband deutscher Schriftsteller) geht und sie politisch lähmt, ist in meiner Wahrnehmung durch das Zutun der ver.di-Funktionäre nicht überbrückt, sondern noch vertieft worden.

Erster Aufzug: Mühsam ernährt sich das Eichhörnchen

Dennoch hielt und halte ich Gewerkschaften und Berufsverbände für unersetzlich. Vieles, so der Informationsaustausch, lässt sich heute über informelle Netzwerke abwickeln, anderes aber nicht – beispielsweise eine politische Einflussnahme auf den sogenannten Dritten Korb der Urheberrechtsreform, der für die berufliche Praxis der Selbstständigen in den Kultur- und Medienberufen von großer Bedeutung ist. Daher wartete ich Ende 2009 gespannt auf Diskussionen über die Verbands- und Organisationsstellungnahmen zum Fragebogen des Bundesjustizministeriums zum Dritten Korb.

Doch da kam nichts, weder bei ver.di noch im VdÜ oder im Lektorenverband VFLL. Also habe ich selbst versucht, die Stellungnahmen zu analysieren, eine eigene Position zu entwickeln und diese in den Verbänden zur Diskussion zu stellen. Leider hielt es meine Gewerkschaft Anfang 2010 für wichtiger, in den Tumult um den sogenannten Hegemann-Skandal einzustimmen und ebenso überzogene wie überflüssige Bekenntnisse zum Schutz geistiger Schöpfungen abzugeben, als sich an die Grundlagen der dialektischen Durchdringung komplexer Sachverhalte zu erinnern und zu erkennen, dass jeder Urheber zugleich (logisch wie zeitlich sogar zuvörderst) ein Nutzer ist: Wir fördern die Schöpfung neuer Werke und stärken ihre Schöpfer, indem wir die Nutzung bestehender Werke vereinfachen bzw. rechtlich ermöglichen, ohne dabei das Urheberrecht auszuhöhlen.

Im Rahmen des „Welttags des geistigen Eigentums“ am 26. April 2010 machte ver.di – zumindest in der Wahrnehmung der Netzöffentlichkeit – Anstalten, sich von den Verwertern vereinnahmen zu lassen. Auf die Kritik, die beispielsweise Philipp Otto von iRight.info bei Carta und Markus Beckedahl bei netzpolitik.org an der gemeinsamen Pressekonferenz mit Vertretern des Bundesverbands Musikindustrie und des Börsenvereins des deutschen Buchhandels übten, reagierte der stellvertretende ver.di-Vorsitzende und Bundesfachbereichsleiter Medien, Kunst und Industrie, Frank Werneke, nach einiger Zeit mit einer Einladung zum weiteren Austausch.

Nichts gegen Diskussionen mit Vertretern der Netzöffentlichkeit, aber wichtiger und richtiger wäre es gewesen, hätte meine Gewerkschaft zunächst einmal mit ihren eigenen Leuten über die Vor- und Nachteile eines solchen Schulterschlusses mit den Verwerterorganisationen gesprochen – beispielsweise im sogenannten Mitgliedernetz von ver.di („die Meinung der Mitglieder ist gefragt – diskutieren ist erwünscht!“).

Daher schrieb ich Ende April an die Mitgliedernetz-Redaktion: „Ich habe mich gestern endlich im Mitgliedernetz registriert, weil ich gespannt war, wie die Mitglieder die aktuelle Internet-Debatte über die umstrittene Pressekonferenz zum ‚Diebstahl geistigen Eigentums im Netz’ weiterführen. Leider muss ich feststellen, dass nicht nur diese Debatte dort nicht stattfindet, sondern gleich gar keine Debatte … Impulse zu wichtigen gesellschaftlichen und beruflichen Themen wie der Urheberrechtsreform, dem geplanten Leistungsschutzrecht für Presseverleger usw. usf. sind bei ver.di einfach nicht zu finden.“ Der prompten Antwort war zu entnehmen, dass die Redaktion die Debatte nur zu gerne ins Mitgliedernetz geholt hätte, dazu aber grünes Licht seitens des Bereichs Kunst und Kultur benötigte. Also trug ich meinen Wunsch am 30. April auch dem Bereichsleiter Heinrich Bleicher-Nagelsmann vor, denn: „Mir erscheint eine intensive Diskussion über diese und verwandte Fragen … dringend nötig.“

Als Frank Wernekes Antwort auf Philipp Ottos kritische Fragen bei Carta erschien, wandte ich mich zudem an Werneke: „Als langjähriges ver.di-Mitglied sähe ich es gern, wenn auch innerhalb ver.dis die Möglichkeit zur Diskussion bestünde. Im ‚Mitgliedernetz’ findet sich zu diesem Themenkomplex leider nichts, und Mitglieder haben auch nicht die Befugnis, dort selbst Diskussionen anzustoßen. Am 30. 4. habe ich mich in dieser Angelegenheit an Bleicher-Nagelsmann gewandt … Heute ist der 18. 5.“ Zügig antwortete eine Mitarbeiterin des Fachbereichs: Ich könne davon ausgehen, dass die Veröffentlichung und Diskussion im ver.di-Mitgliedernetz ausdrücklich gewünscht werde; dies werde nun mit den Kolleginnen und Kollegen des Bereichs Öffentlichkeitsarbeit besprochen.

Mitte Juni hakte ich bei Bleicher-Nagelsmann, Werneke und der Mitgliedernetz-Redaktion nach: „Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, da seit der Zwischeninfo … nun auch schon drei Wochen vergangen sind und ich seit dem 30. 4. noch keine substanzielle Antwort erhalten habe, während im Mitgliedernetz weiterhin ziemlich tote Hose herrscht und die wenigen konstruktiven-kritischen Stimmen ungehört verhallen, frage ich noch mal nach: Ist die Entscheidung für oder gegen eine rasche Öffnung des Mitgliedernetzes für eine Debatte über Urheberrecht und geistiges Eigentum inzwischen gefallen?“ Zwei Wochen später tatsächlich eine Reaktion: Der Bereichsleiter rief mich an, um zu erklären, dass er gerade aus einer Sitzung komme, in der um den Entwurf eines Positionspapiers gerungen worden sei, und anzukündigen, dass dieser Entwurf urlaubsbedingt erst am 20. Juli im Mitgliedernetz präsentiert werden könne.

Zweiter Aufzug: Diskutieren erwünscht?

Am 21. Juli wandte ich mich erneut an die Redaktion und den Fachbereich. „Ich sehe noch nichts. Schade, denn mittlerweile hat de Maizière seine Thesen veröffentlicht, Leutheusser-Schnarrenberger hat ihre Grundsatzrede gehalten; zwei der vier Konsultationsgespräche des BMJ zum 3. Korb sind bereits gelaufen; die Parteien positionieren sich …, im Bundestagsforum zur Enquete-Kommission werden wüste Thesen vertreten; allerorten laufen Veranstaltungen. Und wo ist meine Gewerkschaft? Im Urlaub? Oder in toto [der] jüngst in kunst+kultur vertretene[n] Meinung, der VS könne ‚beruhigt „konservativ“ bleiben bei diesen Fragen im Wissen um den Schatz jahrtausendealter kultureller Erfahrung’?“ Tatsächlich wurde der Entwurf im Laufe des Tages im Mitgliedernetz eingestellt und zur Diskussion freigegeben. Allerdings erfuhr dies nur, wer zufällig dort vorbeischaute: Die Mitglieder der betroffenen Bundessparten (zumindest des VdÜ) wurden nicht informiert.

Entsprechend zäh ließ sich die Diskussion an. Vom 26. Juli bis zum 1. August habe ich dort sieben ausführliche Kommentare hinterlassen, auf die mir keiner der Verfasser des Entwurfs je geantwortet hat. Eingangs betonte ich: „Der Versuch, eine zeitgemäße, den Interessen der Mitglieder, aber auch dem gesellschaftlichen Fortschritt verpflichtete Position zu den aktuellen Urheberrechts- und Digitalisierungsdebatten zu entwickeln, kann in meinen Augen nur gelingen, wenn er auf einer klaren, gründlichen Analyse der Tätigkeit dieser Mitglieder – insbesondere der Urheber und sonstigen Publizisten unter ihnen – basiert. An einer solchen Analyse der täglichen Arbeitspraxis hapert es bislang.“

Im zweiten Kommentar ging es um eine Stelle im Entwurf, in dem die klassische, nach dem Urheberrecht vorgesehene Vergütungsstruktur (Grundhonorar, evtl. Erfolgsbeteiligungen und Einnahmen durch Vergabe von Zweitverwertungsrechten) mit sogenannten Total-Buy-Out-Verträgen verglichen wird. Ohne dem Total-Buy-Out das Wort reden zu wollen, mahnte ich eine Auseinandersetzung mit den Gründen für sein Vordringen an: „Digitalisierung und Internet bringen es mit sich, dass die Verbreitung von Informationen, auch geschützten Werken, sich weitgehend der Kontrolle entzieht. Die Verwerter suchen nach neuen Geschäftsmodellen und werden noch eine ganze Weile herumexperimentieren müssen. Bei jeder Versuchsvariante erneut alle beteiligten Urheber um Erteilung der Verwertungsrechte zu bitten, kann ungeheuer kompliziert werden und die Sache unrentabel oder zumindest unkalkulierbar machen. Das ist der rationale Kern hinter den Total-Buy-Out-Verträgen.

Umgekehrt gibt es etliche Urheber, die gegen eine – angemessene! – einmalige Pauschalhonorierung gar nichts hätten, weil sie (a) die Komplikationen der Rechteverwaltung und immer neuen Verhandlungen fürchten und (b) ohnehin fast nie in den Genuss von Erfolgsbeteiligungen oder Zweitverwertungsverträgen kommen. … Die Interessen dieser Urhebergruppe kamen z. B. bei den Übersetzungsvergütungsverhandlungen bislang zu kurz.“

Im dritten Beitrag ging es mir um eine Passage in den sogenannten Leitgedanken des Papiers, in denen ver.di Künstlern, die sich für das Modell kostenloser Lizenzen entscheiden, nominell Respekt zollt, aber gleich anfügt, dies könne keine Richtschnur für gewerkschaftliches Handeln sein: „Mir scheint, hier kommt die Ökonomie von Open Source und Creative Commons zu kurz. Altruismus funktioniert nur, wenn er sich auch für den Altruisten auszahlt. Wer einen Teil seiner Werke unentgeltlich zur Verfügung stellt, gewinnt damit an Ansehen – und zwar nicht nur (oder auch nur primär) wegen seiner Nettigkeit, sondern vor allem wegen der Qualität des Werkes. Er weist sich als großartiger Programmierer, Schriftsteller, Journalist, Berater o. ä. aus und steigert damit seinen Wert auf dem Arbeits- und Projektmarkt.

Dieses Nebeneinander zwischen freigiebiger Weitergabe von Know-how über Blogs, Wikis, Vorträge, Software usw. auf der einen Seite und einer kommerziellen Firma oder einem gut bezahlten Job auf der anderen Seite findet man gerade im Netz immer wieder. Dieses Konzept passt schwer ins herkömmliche gewerkschaftliche Denken, aber die Erfolge lassen es ratsam erscheinen, solche Hybridmodelle gründlich zu untersuchen und aus ihnen zu lernen. Besonders gut gefällt mir an diesen Modellen, dass sie die Arbeit nicht entwerten: Eine Programmiererarbeitsstunde ist entweder ein Geschenk an die Allgemeinheit (und zugleich eine Investition in die Selbstvermarktung) – oder aber gut bezahlt. Das vermittelt eine ganz andere Botschaft als irgendwelche Hungerlöhne, Freundschaftspreise, Einsteigerhonorare usw., die immer die Gefahr bergen, dass der Billigheimer-Ruf an einem haften bleibt. Also, über Creative Commons, Open Source, Web-Ehrenämter etc. lohnt es sich noch mal neu nachdenken, und zwar in Form einer gründlichen ökonomischen Analyse.“

Anschließend ging ich auf das „geistige Eigentum“ ein, zu dem im Positionspapier steht: „Freier Zugang zu Informationen und Kulturgütern heißt für uns nicht … freie Verfügbarkeit geistigen Eigentums gegen den Willen der Urheber/innen. Den gibt es auch derzeit in der Welt physischer Medien und Kulturgüter nicht uneingeschränkt.“ Ich glaube, „dass solche Parallelen zwischen physischer Welt und digitaler Information unheimlich leicht aufs Glatteis führen. Das ‚geistige Eigentum’ ist eine Metapher, deren metaphorischer Charakter denen, die sie im Munde führen, zumeist nicht bewusst ist. Metaphern sind nichts Schlechtes; sie sind Denk- und Redeabkürzungen und Veranschaulichungen – mehr aber auch nicht. Von dieser Metapher ist der Weg kurz zur nächsten, dem Diebstahl (als würde der Roman, den jemand sich unberechtigt im Internet beschafft, dafür beim Autor oder bei den Käufern verschwinden) oder gar Raub (wie in Raubkopie – als würde da jemand unmittelbar physisch bedroht). Nennen wir Urheberrechtsverletzungen doch bitte einfach so: Urheberrechtsverletzungen. Das mindert auch die Gefahr, auf den manipulativen Sprachgebrauch der Verleger hereinzufallen, die in ihren Aufklärungskampagnen für Kinder und Jugendliche (!) ernsthaft behaupten: ‚Ideen gehören ihren Erfindern.’ Einen reinen Ideenschutz gibt es in Deutschland nicht, zum Glück, und erfunden werden Ideen auch nicht. Ich würde mir wünschen, dass Hinweise auf einen solch problematischen Sprachgebrauch nicht als philologische Haarspalterei oder Nachgeplapper der Phrasen irgendwelcher Internetgurus abgetan, sondern als Hilfe zur Schärfung des analytischen Blicks verstanden würden.“

Warum ich auf gewerkschaftliche Äußerungen in dieser Sache so allergisch reagiere, erklärte ich im fünften Beitrag: „Zum Thema ‚Schutz geistigen Eigentums’ wurde im Februar auf der VS-Seite ein Kommentar von Matthias Mala veröffentlicht, der anlässlich des Hegemann-Falls unter anderem schrieb: ‚Wäre es nur das Gekeife einer Göre, die man beim Stehlen erwischte, wäre es keiner Rede wert. Doch es ist das Gekeife der Mehrheit der Internetbenutzer, die sich daran gewöhnt haben, von der schöpferischen Leistung anderer zu schmarotzen. Das Werk der Kreativen ist entwertet. Es ist nur noch der Styropor, um Internetseiten zu füllen. Das ist ein kultureller Niedergang, der über eklektizistische Zeiten weit hinaus geht. Er erinnert an jene barbarische Düsternis als man die Tempel der Antike schliff, um sich aus den Steinbrocken windige Ställe zu errichten.’ – Daneben steht: ‚Der Kommentar deckt sich mit der Auffassung des Bundesvorstandes des VS zu Fragen des Urheberrechts.’

Ja, liebe Leute, seid ihr denn noch zu retten? 75 Jahre, nachdem Brecht seine ‚Fragen eines lesenden Arbeiters’ niederschrieb, muss ich so einen Quark über ‚geschliffene’ Tempel lesen, aus denen irgendwelche Kulturbanausen Ställe gemacht haben? So einen frauenfeindlichen Quark (‚Gekeife einer Göre’)? So eine kulturpessimistische Diffamierung eines Großteils jener Kreise, für die wir Schriftsteller und Publizisten doch angeblich schreiben? Ich muss gestehen: Nie war ich so nah dran, ver.di ein Austrittsschreiben zu schicken, wie in dem Augenblick, als ich fassungslos diese Zeilen las.“

Im sechsten Kommentar verwies ich zunächst auf einige Beiträge bei Carta und Netzpolitik, die zeigen, dass die kritische Netzöffentlichkeit, zu der auch viele Urheber zählen, seltsame Allianzen aufmerksam zur Kenntnis nimmt. Allianzen mit Rechteverwertern sind heikel, und bei Studien zum sogenannten Diebstahl geistigen Eigentums, die von ihnen kommen, heißt es: aufgepasst! „Erst gestern wurde ich in einem Forum über Digitalisierung und Verlagswelt mit der Behauptung konfrontiert, der Börsenverein habe in einer Umfrage herausgefunden, ‚dass das Unrechtsbewusstsein zu Filesharing bei Jugendlichen faktisch nicht vorhanden ist’.

Tatsächlich geht aus der Studie aber hervor: 87% der befragten Jugendlichen wussten, dass Filesharing unter Umständen verboten ist. Wie man von empirisch nachgewiesenen 87% Unrechtsbewusstsein zu gefühlten und kommunizierten 0% Unrechtsbewusstsein gelangen kann, wird der Wissenschaftlerin in mir auf ewig ein Rätsel bleiben.“

Meine siebte und letzte Anmerkung galt einer zentrale Schwäche des Entwurfs: Die Interessen und das Verhalten der sogenannten Nutzer werden behandelt, ohne dass auch nur ansatzweise die Erkenntnis aufscheint, dass jeder Urheber seinerseits Nutzer ist. Kein Werk entsteht im luftleeren Raum. „Jeder Schöpfer nutzt die Werke anderer, und insofern schadet jede Ausgestaltung des Urheberrechts oder der aus diesem abgeleiteten Schutzrechte, die den Zugriff auf Werke über das notwendige Mindestmaß hinaus beschneidet, potenziell der Erschaffung neuer Werke und dem Dialog zwischen den Werken bzw. ihren Autoren, gemeinhin Kultur genannt. Mir fällt auf, dass der Ausdruck ‚copy and paste’ fast immer negativ besetzt ist – auch im Positionspapier-Entwurf … Dabei ist ‚copy and paste’ auch ein unentbehrliches Werkzeug zur Qualitätssicherung/Fehlervermeidung, ohne das ich meine Übersetzungen und Lektorate nicht im Sinne meiner Auftraggeber erledigen könnte … Ein Urheber, der in diesem Sinne kopiert, trägt nicht zum Untergang des Abendlandes bei und bringt weder seine Geringschätzung anderer Urheber noch eine Freibiermentalität zum Ausdruck, er verrät auch nicht die Werte der Aufklärung, sondern nimmt seinen – auch gesellschaftlichen – Auftrag ernst.“

Dritter Aufzug: Vergebliche Liebesmüh

Einige weitere Mitglieder diskutierten miteinander über Patentrecht, Schutzfristen usw., und am 26. August meldete sich Matthias Spielkamp in 12 Kommentaren umfassend und wie immer hochkompetent zu Wort. Immer noch blieben die Verfasser des Papiers stumm. Da mir mittlerweile schwante, dass das Mitgliedernetz längst nicht von jedem ver.di-Mitarbeiter als sinnvolle Ergänzung zur Gremienarbeit begriffen wird, ließ ich dem Fachbereich meine Kritikpunkte und Anregungen Anfang September auch per E-Mail zukommen. Der Antwortmail war zu entnehmen, dass alle eingegangenen Stellungnahmen den entsprechenden Gremien zur Verfügung gestellt würden. Sobald die Fachgruppe Medien sich noch einmal intensiv mit dem Papier und den Stellungnahmen beschäftigt habe, werde der Diskussionsstand so aufbereitet, dass er im Mitgliedernetz veröffentlicht und dort intensiv weiterdiskutiert werden könne.

Es kam anders. Die Debatte im Mitgliedernetz erstarb, bis die Nachricht die Runde machte, dass der Bundesvorstand das Positionspapier zum Urheberrecht am 25. Oktober verabschiedet habe. Sofort legte die kritische Netzöffentlichkeit den Finger in die größte Wunde: Damit „beim Aufruf einer Seite mit illegalen Angeboten ohne Registrierung der Nutzer/innen-IP auf dem Monitor eine … Information über die Rechtswidrigkeit des Angebots und dessen Nutzung erscheint“, wie es der Bundesvorstand vorschlägt, ist eine umfassende Überwachungsinfrastruktur technisch zwingend notwendig. Als der Beschluss am 3. November auch im Mitgliedernetz bekannt gemacht wurde, hieß es dort, der Hinweis auf die Missbrauchsgefahr gehe „ins Leere, weil auch ver.di einen solchen Missbrauch strikt ablehnt und dies auch ausgeschlossen werden soll“. Aha. Ach so. Na dann.

Ich habe den Entwurf Satz für Satz mit dem Beschlusstext verglichen, der laut ver.di „das Ergebnis einer monatelangen intensiven Diskussion in den betroffenen Fachbereichen und Gremien“ ist. Einige Absätze sind neu; modifiziert oder gestrichen wurde dagegen wenig. Der einzige Hinweis darauf, dass meine Einwände möglicherweise von irgendwem zur Kenntnis genommen wurden, ist ein neuer Relativsatz im Abschnitt über Open Source und Creative Commons: „Für ver.di kann aber unentgeltliches gemeinwohlorientiertes Arbeiten, das nur in Ausnahmefällen neue existenzsichernde Einnahmequellen erschließt, keine Richtschnur für gewerkschaftliches Handeln in der Tarif-, Vergütungs- und Netzpolitik sein.“ Eine profunde ökonomische Analyse, wie in meinem dritten Kommentar vorgeschlagen, stelle ich mir anders vor. Die einzige redaktionelle Änderung, die mutmaßlich auf Matthias Spielkamps geduldige Erläuterungen zurückgeht, ist der Schlusssatz im Abschnitt über die Kulturflatrate.

Ilja Braun hat die Einstellung, die sich in der Genese des Positionspapiers manifestiert, im Blog der Digitalen Linken als Beratungsresistenz charakterisiert. Genau diese Beratungsresistenz hat mich dazu gebracht, am 30. Oktober meinen Austritt aus der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft zu erklären.

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